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Kolonialzeit der Niederlande «Krone und Regierung waren in der Kolonialzeit eng verflochten»

Die Analyse der Rolle der niederländischen Monarchie in der Kolonialzeit sei wegweisend, so die SRF-Korrespondentin.

Die Niederlande stellen sich ihrer kolonialen Vergangenheit. Am nächsten Montag will sich die Regierung bei den ehemaligen Kolonien offiziell entschuldigen. Und die Königsfamilie hat angekündigt, die eigene Rolle in der Kolonialzeit unabhängig untersuchen zu lassen.

Elsbeth Gugger

Niederlande-Korrespondentin, SRF

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Die Journalistin arbeitet seit 1992 als Korrespondentin aus den Niederlanden für SRF und «NZZ am Sonntag». Vorher war sie bei der Schweizerischen Depeschenagentur tätig.

SRF News: Was halten Sie von der Absicht des niederländischen Königshauses, seine Rolle in der Kolonialzeit unabhängig untersuchen zu lassen?

Elsbeth Gugger: Eine grosse Überraschung ist das nicht. Willem-Alexander hat sich in der Vergangenheit kritisch über seine Urgrossmutter geäussert. Er scheut sich nicht, das Nest der eigenen Familie zu beschmutzen.

Die Ankündigung, die Rolle der Oranje bis in die postkoloniale Zeit untersuchen zu lassen, ist eine konsequente Fortsetzung der Haltung des Königs.

Die Ankündigung, die Rolle seiner Familie, der Oranje – sie ist immerhin eine der reichsten Familien Europas – vom späten 16. Jahrhundert bis in die postkoloniale Zeit untersuchen zu lassen, ist eine konsequente Fortsetzung dieser Haltung. Eine solche Forschungsarbeit passt perfekt in die laufende Debatte in den Niederlanden.

Vor kurzem kündigte die niederländische Regierung an, sich am 19. Dezember bei den ehemaligen Kolonien für die Rolle der Niederlande zu entschuldigen. Inwiefern hängt das zusammen?

Die Ankündigung des Königs hat nicht für sehr grosse Wellen gesorgt. Für viel mehr Aufregung sorgt das Entschuldigungsdatum, 19. Dezember. In Surinam und auch auf den Antillen wurde wütend darauf reagiert. Man habe das nicht mit ihnen abgesprochen und sie wollten die Entschuldigung lieber am 1. Juli haben, wenn der Abschaffung der Sklaverei gedacht wird. Weiter wollten sie die Entschuldigung nicht aus dem Mund des Premiers oder eines Ministers hören, sondern vom König höchstpersönlich.

Wird die niederländische Regierung auf diese Forderung eingehen?

Nein. Der Premier Mark Rutte hat gesagt, das sei strafrechtlich nicht möglich.

Wie stark die Oranjes von den immensen Geldströmen aus den Kolonien profitierten, werden wir hoffentlich in drei Jahren wissen.

Zurück zum König: Was wären mögliche Konsequenzen aus dieser Untersuchung?

Das ist schwer zu sagen. Sie müssen sich vorstellen, dass Krone und Regierung in der Kolonialzeit eng verflochten waren. Wie stark die Oranjes von den immensen Geldströmen aus den Kolonien profitierten, werden wir hoffentlich in drei Jahren wissen, wenn diese Untersuchung beendet sein wird. Dann werden wir auch wissen, ob sich König Willem Alexander dereinst dafür entschuldigen will oder muss.

Wird dieses proaktive Handeln der niederländischen Krone Einfluss auf andere Königshäuser Europas haben, zum Beispiel auf Belgien oder Grossbritannien?

Das ist schwer zu sagen. Es gibt Länder, die sich entschuldigt haben. Deutschland etwa hat sich für die kolonialen Verbrechen im heutigen Namibia oder Italien für jene in Nordafrika entschuldigt. Aber Königsfamilien tun sich mit Entschuldigungen eher schwer. Der belgische König Philippe hat dem Kongo bloss sein tiefes Bedauern ausgedrückt. Und auch in Grossbritannien ist die Royal Family offenbar zu keinem Kniefall bereit. Wer weiss, ob die jetzt angekündigte Untersuchung in den Niederlanden für andere Königsfamilien wegweisend werden könnte.

Das Gespräch führte Igor Basic.

SRF 4 News, 16.12.2022, 06:53 Uhr ; 

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