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Kongo: Die Friedensinsel «Idjwi»
Aus Echo der Zeit vom 19.01.2024. Bild: SRF/Samuel Burri
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Konflikte im Kongo Die Insel der Liebe im Herzen Afrikas

Seit Jahren terrorisieren Rebellengruppen den Ostkongo. Sie haben Millionen Menschen vertrieben. Doch die Insel Idjwi ist eine Oase des Friedens.

«Jedes Chaos wurzelt in der sexuellen Beziehung», sagt Hubert Proté. Dann zeigt der bucklige Alte auf eine Strohhütte neben seinem Haus. Hier führt das Dorf Paarberatungen durch. Es ist das Geheimnis der Friedensinsel, sind viele hier überzeugt.

Eigentlich sollte es bei dieser Recherche um ganz andere Themen gehen: Überbevölkerung, Armut und wirtschaftliche Entwicklung. Um zu erklären, wieso die Menschen auf der Insel Idjwi im Kivu-See friedlich zusammenleben. Doch dann geht es um Sex.

Handfeste Hilfe durch Ältere

In der dunklen, verrauchten Hütte sitzen einige ältere Männer und Frauen auf Strohmatten um ein kleines Feuer. Hier werden Paare beraten – vor und nach der Hochzeitsnacht, erzählt die Dorfältere Machozina Mjipoliti: «Wenn der Mann die Frau nicht beglücken kann, dann geben wir ihm für einige Zeit eine Kräuterpaste. Danach probiert es das Paar erneut.»

Frau mit Kopftuch steht vor einer Strohhütte
Legende: Machozina Mjipoliti ist eine der Frauen, welche Paare in der Strohhütte beraten. Samuel Burri/SRF

Klappe es dann noch immer nicht, ergänzt der Dorfchef, stehe auch mal eine erfahrene Frau dem Paar wortwörtlich zur Seite. Diese Form der Beratung war früher in vielen Gegenden Afrikas verbreitet, nicht nur im Kongo. Doch konservative Missionare predigten dagegen, die Tradition verschwand. Und heute ist das Internet eine grosse Konkurrenz, erklärt die ältere Frau. «Neue Technologien bewirken, dass unser Brauch bedroht ist. Bloss in einigen Gegenden der Insel wird er so noch praktiziert.»

Bevölkerungswachstum als Problem

Die aktive Sexualität hat auch ihre Schattenseite. So liegt das Bevölkerungswachstum Idjwis bei fast 4 Prozent jährlich – höher als im Rest von Kongo-Kinshasa.

«Wir registrieren im Monat alleine in unserer Siedlung 150 Neugeborene», erzählt Dorfchef Proté, während er sich über das Geburtenregister beugt. Das führt zu Landproblemen. Ein Bauer vererbt sein Land an mehrere Söhne, die Grundstücke werden immer kleiner. Armut und Landstreitigkeiten sind die Folge.

An eine grössere bewaffnete Auseinandersetzung mag sich auf Idjwi niemand erinnern. Der letzte Konflikt ist über hundert Jahre her: im Ersten Weltkrieg, als Kongo eine Kolonie Belgiens war, wurde die Insel für einige Zeit von deutschen Truppen besetzt.

Auch die Kongo-Kriege vor einigen Jahren und die immer wiederkehrenden Rebellenaktivitäten konnten Idjwi nichts anhaben. Dabei liegt die Insel strategisch zwischen Kongo-Kinshasa und Ruanda – zwei Streithähnen in der Region.

Krisenherd Ostkongo

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Im Osten Kongos existieren über 100 bewaffnete Gruppen. Besonders aktiv ist derzeit die Rebellengruppe M23, welche Gebiete in der Provinz Nordkivu rund um die Stadt Goma erobert hat. Die M23 werden laut internationalen Beobachtern von Ruanda unterstützt. Auf der Seite Kongos kämpfen neben der Armee auch lokale Freiwilligenorganisationen, UNO-Blauhelme, Söldner aus Osteuropa und Truppen aus benachbarten Ländern.

Der aktuelle Konflikt wurzelt im Genozid von Ruanda vor 30 Jahren. Die ethnischen Auseinandersetzungen zwischen Hutu und Tutsi schwappten in den Ostkongo über. Daraus resultierten zwei grössere Kriege in Kongo-Kinshasa. Die Konflikte im Osten Kongos drehen sich um Macht, Landbesitz und Geld. Die Region ist arm, aber reich an Rohstoffen.

Eine Hochzeitsgesellschaft zieht tanzend und singend über eine der Holperstrassen. Asphalt existiert auf der Insel nicht. Ein tragbarer Lautsprecher sorgt für Stimmung. Die Gesellschaft begleitet die Frischvermählten nach Hause.

«Man lernt immer etwas dazu»

Das Ehepaar gehört zur Buhavu-Ethnie, wie die meisten Bewohner Idjwis. Ehemann Damas Bakulu erklärt: «Wir sprechen alle dieselbe Sprache. Darum gibt es nur selten Missverständnisse.»

Ein Ehepaar mit Hochzeitsgesellschaft
Legende: Damas Bakulu und Floride Nsimire haben soeben geheiratet – auch sie nahmen die Paarberatung des Dorfes in Anspruch. Samuel Burri/SRF

Auch das Paar wurde von den Dorfälteren beraten – obwohl die beiden vor der Heirat bereits drei Kinder gezeugt hatten. Die Beratung schätzte Bakulu, man lerne schliesslich immer etwas dazu. «Wenn man es mit seiner Frau im Bett nicht gut hat, dann wird sie eher in der Nachbarschaft Liebe suchen», so der Ehemann.

Armut und Tourismus

Die traditionelle Art der Paarberatung auf Idjwi wurde sicher auch durch die Abgeschiedenheit der Insel erhalten. Internet gibt es erst seit wenigen Jahren. Die 350'000 Bewohner leben von Landwirtschaft und Fischerei, die meisten sind Selbstversorger. Es ist ein sehr einfaches Leben, die Ressourcen sind knapp, viele Kinder sind unterernährt. Die Armut hat immerhin dazu beigetragen, dass Idjwi für Rebellengruppen weniger interessant ist.

Alter Mann am Pult schreibt etwas in ein grosses Buch
Legende: Dorfchef Hubert Proté registriert im Monat 150 Geburten in seiner Siedlung. Samuel Burri/SRF

«Der Frieden ist unser einziger Reichtum», sagt Olivier Rubenga. Der 38-Jährige ist auf der Insel geboren, hat ausserhalb studiert, und ist nun wieder zurückgekommen. Derzeit arbeitet Rubenga auf einer Baustelle am Seeufer, hier soll ein Hotel für Touristen entstehen.

Mann steht vor einer Baustelle
Legende: Olivier Rubenga wurde auf der Insel geboren. Heute beaufsichtigt er ein Hotelprojekt. Samuel Burri/SRF

Die Insel sei lange vergessen gegangen, so Rubenga. «Weder der Staat noch Hilfswerke haben sich um Idjwi gekümmert.» Dabei wären Investitionen nötig. «Wir brauchen Partner, um den Tourismus zu fördern, aber auch um Landwirtschaft und Fischerei weiterzuentwickeln.»

Holperstrasse der Insel mit Blick auf einen See
Legende: Auf der Insel gibt es keine asphaltierte Strassen. Die Bewohner sind Selbstversorger. Samuel Burri/SRF

Das Geld für das Hotel kommt von einem Arzt, der in der nahegelegenen Provinzhauptstadt Goma praktiziert. Doch es fliesst nur unregelmässig, darum befindet sich der Hotelkomplex mit neun Bungalows seit fünf Jahren im Bau.

Wille zum Frieden

Mögliche Konflikte auf Idjwi werden in der Gemeinschaft gelöst. Bei Beziehungen in einer Strohhütte, für Streit um Land und Materielles tagt einmal monatlich ein Friedensgericht. Der Wille zum Frieden sei eminent, erklärt Dorfchef Proté. «Wenn es hier zu einer Rebellion oder einem Krieg käme, wo gingen wir hin?»

Fähre legt an
Legende: Idjwi ist nur auf dem Seeweg erreichbar. Die Insel liegt mitten im Kivu-See. Samuel Burri/SRF

Geht es nach den Bewohnerinnen und Bewohnern, soll Idjwi soll noch lange eine friedliche Insel im stürmischen Osten Kongos bleiben.

Echo der Zeit, 19.1.2024, 18 Uhr

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