«Jedes Chaos wurzelt in der sexuellen Beziehung», sagt Hubert Proté. Dann zeigt der bucklige Alte auf eine Strohhütte neben seinem Haus. Hier führt das Dorf Paarberatungen durch. Es ist das Geheimnis der Friedensinsel, sind viele hier überzeugt.
Eigentlich sollte es bei dieser Recherche um ganz andere Themen gehen: Überbevölkerung, Armut und wirtschaftliche Entwicklung. Um zu erklären, wieso die Menschen auf der Insel Idjwi im Kivu-See friedlich zusammenleben. Doch dann geht es um Sex.
Handfeste Hilfe durch Ältere
In der dunklen, verrauchten Hütte sitzen einige ältere Männer und Frauen auf Strohmatten um ein kleines Feuer. Hier werden Paare beraten – vor und nach der Hochzeitsnacht, erzählt die Dorfältere Machozina Mjipoliti: «Wenn der Mann die Frau nicht beglücken kann, dann geben wir ihm für einige Zeit eine Kräuterpaste. Danach probiert es das Paar erneut.»
Klappe es dann noch immer nicht, ergänzt der Dorfchef, stehe auch mal eine erfahrene Frau dem Paar wortwörtlich zur Seite. Diese Form der Beratung war früher in vielen Gegenden Afrikas verbreitet, nicht nur im Kongo. Doch konservative Missionare predigten dagegen, die Tradition verschwand. Und heute ist das Internet eine grosse Konkurrenz, erklärt die ältere Frau. «Neue Technologien bewirken, dass unser Brauch bedroht ist. Bloss in einigen Gegenden der Insel wird er so noch praktiziert.»
Bevölkerungswachstum als Problem
Die aktive Sexualität hat auch ihre Schattenseite. So liegt das Bevölkerungswachstum Idjwis bei fast 4 Prozent jährlich – höher als im Rest von Kongo-Kinshasa.
«Wir registrieren im Monat alleine in unserer Siedlung 150 Neugeborene», erzählt Dorfchef Proté, während er sich über das Geburtenregister beugt. Das führt zu Landproblemen. Ein Bauer vererbt sein Land an mehrere Söhne, die Grundstücke werden immer kleiner. Armut und Landstreitigkeiten sind die Folge.
An eine grössere bewaffnete Auseinandersetzung mag sich auf Idjwi niemand erinnern. Der letzte Konflikt ist über hundert Jahre her: im Ersten Weltkrieg, als Kongo eine Kolonie Belgiens war, wurde die Insel für einige Zeit von deutschen Truppen besetzt.
Auch die Kongo-Kriege vor einigen Jahren und die immer wiederkehrenden Rebellenaktivitäten konnten Idjwi nichts anhaben. Dabei liegt die Insel strategisch zwischen Kongo-Kinshasa und Ruanda – zwei Streithähnen in der Region.
Eine Hochzeitsgesellschaft zieht tanzend und singend über eine der Holperstrassen. Asphalt existiert auf der Insel nicht. Ein tragbarer Lautsprecher sorgt für Stimmung. Die Gesellschaft begleitet die Frischvermählten nach Hause.
«Man lernt immer etwas dazu»
Das Ehepaar gehört zur Buhavu-Ethnie, wie die meisten Bewohner Idjwis. Ehemann Damas Bakulu erklärt: «Wir sprechen alle dieselbe Sprache. Darum gibt es nur selten Missverständnisse.»
Auch das Paar wurde von den Dorfälteren beraten – obwohl die beiden vor der Heirat bereits drei Kinder gezeugt hatten. Die Beratung schätzte Bakulu, man lerne schliesslich immer etwas dazu. «Wenn man es mit seiner Frau im Bett nicht gut hat, dann wird sie eher in der Nachbarschaft Liebe suchen», so der Ehemann.
Armut und Tourismus
Die traditionelle Art der Paarberatung auf Idjwi wurde sicher auch durch die Abgeschiedenheit der Insel erhalten. Internet gibt es erst seit wenigen Jahren. Die 350'000 Bewohner leben von Landwirtschaft und Fischerei, die meisten sind Selbstversorger. Es ist ein sehr einfaches Leben, die Ressourcen sind knapp, viele Kinder sind unterernährt. Die Armut hat immerhin dazu beigetragen, dass Idjwi für Rebellengruppen weniger interessant ist.
«Der Frieden ist unser einziger Reichtum», sagt Olivier Rubenga. Der 38-Jährige ist auf der Insel geboren, hat ausserhalb studiert, und ist nun wieder zurückgekommen. Derzeit arbeitet Rubenga auf einer Baustelle am Seeufer, hier soll ein Hotel für Touristen entstehen.
Die Insel sei lange vergessen gegangen, so Rubenga. «Weder der Staat noch Hilfswerke haben sich um Idjwi gekümmert.» Dabei wären Investitionen nötig. «Wir brauchen Partner, um den Tourismus zu fördern, aber auch um Landwirtschaft und Fischerei weiterzuentwickeln.»
Das Geld für das Hotel kommt von einem Arzt, der in der nahegelegenen Provinzhauptstadt Goma praktiziert. Doch es fliesst nur unregelmässig, darum befindet sich der Hotelkomplex mit neun Bungalows seit fünf Jahren im Bau.
Wille zum Frieden
Mögliche Konflikte auf Idjwi werden in der Gemeinschaft gelöst. Bei Beziehungen in einer Strohhütte, für Streit um Land und Materielles tagt einmal monatlich ein Friedensgericht. Der Wille zum Frieden sei eminent, erklärt Dorfchef Proté. «Wenn es hier zu einer Rebellion oder einem Krieg käme, wo gingen wir hin?»
Geht es nach den Bewohnerinnen und Bewohnern, soll Idjwi soll noch lange eine friedliche Insel im stürmischen Osten Kongos bleiben.