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Rendez-vous mit Russland: Korrespondent Calum MacKenzie
Aus Tagesgespräch vom 03.07.2023. Bild: SRF/zvg
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Korrespondent von ausserhalb Verwehrter Zugang: Russland aus der Ferne entschlüsseln

Seit Beginn des Jahres berichtet SRF-Korrespondent Calum MacKenzie über Russland. Einreisen durfte er bisher nicht.

Es ist eine besondere Herausforderung: Calum MacKenzie, SRF-Russland-Korrespondent, hat bisher nicht in sein Berichtsgebiet reisen dürfen. MacKenzie berichtet nicht wie üblich aus Moskau, sondern vorerst aus der Schweiz.

Vor neun Monaten habe er ein Gesuch für eine Arbeitserlaubnis abgeschickt. Frage er nach, komme seit Dezember die gleiche Antwort: Das Gesuch sei angekommen, aber weiterhin in Bearbeitung. Dutzende Medienschaffende sind vom gleichen Problem betroffen. Seit dem Grossangriff auf die Ukraine letztes Jahr hat kaum jemand aus dem Westen eine neue Akkreditierung für Russland erhalten.

Es sei herausfordernd, über Land und Leute zu berichten, während er in der Schweiz lebe, sagt der SRF-Korrespondent. Er könne nicht vor Ort sein, um mit Menschen zu sprechen, die Stimmung zu erfassen.

Blick auf Menschen auf dem Roten Platz in Moskau. Im Hintergrund ist die Basilius-Kathedrale.
Legende: Der Rote Platz in Moskau: Aus der Ferne ist es schwierig, die Stimmung im Land zu erfassen. Getty Images/Vlad Karkov/SOPA Images/LightRocket

MacKenzie muss improvisieren und sich auf eigene Quellen innerhalb Russlands verlassen können. Aufgebaut hat er diese Quellen bereits zu Zeiten als Student in Moskau und weil er sich seit Jahren mit Russland beschäftigt. Unterdessen wisse er, welche Publikationen bei welchen Themen vertrauenswürdig seien, welche Journalisten gute Quellen im Staatsapparat hätten und somit wüssten, worüber sie redeten.

Die Berichterstattung gleicht ein wenig dem Zusammensetzen eines Puzzles: MacKenzie sammelt Berichte und Quellen, muss einschätzen, was vertrauens- und glaubwürdig ist und weglassen, wo Informationen nicht gesichert sind oder unglaubwürdig klingen. So versuche er, sich möglichst breit abzustützen und aus den vielen verschiedenen Quellen ein Bild zu machen von dem, was tatsächlich passiert sei, sagt der SRF-Korrespondent.

Erschwerte Berichterstattung

Mit Beginn des russischen Angriffs von Russland auf die Ukraine haben die russischen Behörden neue Gesetze für Journalistinnen und Journalisten eingeführt: Wer die Streitkräfte Russlands diskreditiert, wird bestraft. Wer «falsche» Informationen verbreite, etwa die russische «Spezialoperation in der Ukraine» einen Krieg nenne, werde ebenfalls abgestraft, sagt MacKenzie. Medienschaffende haben das Land daraufhin verlassen, weil nicht klar war, wie die Gesetze angewendet werden. Nun habe sich gezeigt, dass meist nur belangt werde, wer in russischer Sprache publiziere.

Blick auf einen Bahnsteig der Moskauer Metro. Auf einem Plakat ist ein Soldat zu sehen.
Legende: Mit einem Plakat suchte die russische Armee in der Moskauer Metro nach neuen Soldaten. Keystone/EPA/YURI KOCHETKOV

Allerdings zeigt die Verhaftung von Evan Gershkovich, Korrespondent des US-amerikanischen «Wall Street Journal», dass auch ausländische Journalisten beim Kreml in Ungnade fallen können, wenn sie über Themen berichten, die der Regierung nicht genehm sind. Gershkovich wird Spionage vorgeworfen, worauf bis zu zwanzig Jahre Haft drohen. Beweise wurden bisher keine vorgelegt.

Bei russischen Medienschaffenden liegt die Messlatte tiefer: Passe den Behörden die Berichterstattung der einheimischen Journalistinnen und Journalisten nicht, werde ein Vorwand gefunden, um diese abzustrafen, sagt MacKenzie im Interview. Falls er dennoch nach Russland einreisen dürfte, müsste er sich darauf einstellen, womöglich in einer überwachten Wohnung zu leben, beschattet zu werden, oder zumindest, dass ihm viele Russinnen und Russen misstrauten.

Als der Krieg beginnt, ist er noch in Russland

MacKenzie studiert für seinen Master in Moskau, als sich die Zeichen verdichten, dass es zu einem russischen Angriff auf die Ukraine kommen könnte. Auf einem Ausflug nach Murmansk, einer Hafenstadt nördlich des Polarkreises, spricht er mit Einwohnerinnen und Einwohnern über die Truppenmobilisierung der Russen an der Grenze zur Ukraine. Diese hätten sich nicht vorstellen können, dass Russland einen Krieg mit der Nachbarin Ukraine anzettle.

Doch als der künftige SRF-Korrespondent im Flugzeug nach Moskau sitzt, erhält er die Nachricht, dass der russische Präsident Wladimir Putin plant, die sogenannten Separatistengebiete um Donezk und Luhansk als unabhängig anzuerkennen. Mit der Ankunft in Moskau sei dann klar gewesen, dass die Invasion bevorstehe.

Zwei Personen blicken auf einen TV-Bildschirm, auf dem Wladimir Putin zu sehen ist.
Legende: Am Morgen des 24. Februars 2022 kündigte Wladimir Putin im Staatsfernsehen die «Spezialoperation in der Ukraine» an. Keystone/EPA/SERGEI ILNITSKY

In der Nacht des Angriffs, vom 23. auf den 24. Februar 2022, schläft MacKenzie kaum: Er bleibt wach, um Nachrichten und soziale Medien nach Informationen zu durchforsten. Er habe nicht schlafen können, musste verfolgen, was passiert, erzählt er. Mit jeder Stunde wurde ihm klarer, welch ein Ausmass es annimmt, dass Russland tatsächlich die Ukraine angreift.

In Moskau selbst hat er am Tag der Invasion eine düstere Stimmung wahrgenommen. Viele hätten begonnen, US-Dollars abzuheben, vor Bankomaten bildeten sich Warteschlangen. Internationale Studierende, die im Studentenwohnheim lebten, wurden angewiesen, das Land zu verlassen.

Ein Polizist führt eine Frau auf der Strasse ab. Passanten schauen zu.
Legende: Am Tag des Kriegsbeginns erstickt die Polizei in Moskau Proteste im Keim. REUTERS/Evgenia Novozhenina

Bei Protesten in Moskau zu Beginn des Krieges seien einige seiner Kommilitonen verhaftet worden, erzählt MacKenzie. Die Universität warnte Studierende vor bestimmten Plätzen, auf denen Proteste stattfanden. MacKenzie selbst war zu einer Zeit auf dem zentralen Puschkin-Platz, als Proteste hätten stattfinden sollen, jedoch waren keine Demonstranten zu sehen. Die starke Polizeipräsenz wirkte einschüchternd.

Im Laufe der Zeit liessen die Antikriegsproteste nach, da die Behörden zunehmend mit Härte gegen Demonstranten vorgingen. Viele Menschen, die Calum MacKenzie kannte und die an den Protesten teilgenommen hatten, verliessen Russland, da sie keine Möglichkeit sahen, ihre Ansichten zu repräsentieren oder Veränderungen herbeizuführen.

Tagesgespräch, 03.07.2023, 13:00 Uhr

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