Die Irakerinnen und Iraker erhoffen sich vom neuen Parlament einen etwas leichteren Alltag. Vor zwei Wochen hat ein Bündnis des schiitischen Predigers Muqtada al-Sadr und der Kommunisten am meisten Sitze gewonnen. Doch ohne Koalitionspartner reichen die 54 Sitze bei weitem nicht, um zu regieren. Das heisst, bis eine Regierung gebildet ist, könnte es noch lange dauern.
Er empfinde sein Land gar nicht als Demokratie, sagt der irakische Fotograf, Multimediakünstler und Buchautor Ali Al-Ezzi. In einer Demokratie versuchten Menschen, ihre Träume zu verwirklichen, indem sie Politiker wählten, die sich für die Verwirklichung ihrer Träume einsetzten. Sein Vorwurf an die Politiker lautet: «Sie täuschen die Bürger, um ihre Stimmen zu kriegen. Aber wenn sie einmal im Parlament sind, verfolgen sie nur noch ihre eigenen Interessen.»
Jeder Zweite ist ein Nichtwähler
Die Korruption ist auch ein Thema in Al-Ezzis Roman «Expired» – auf Deutsch: Verfallsdatum überschritten. Damit spricht er vielen Landsleuten aus dem Herzen: Nicht einmal die Hälfte von ihnen hat bei den vergangenen Parlamentswahlen ihre Stimme abgegeben. Auch er ging nicht an die Urne.
Wenn die Politiker einmal im Parlament sind, verfolgen sie nur noch ihre eigenen Interessen.
Natürlich habe die Korruption einen direkten Einfluss auf seinen Alltag, sagt er. Um das zu bekommen, was ihm als Staatsbürger zustehe, müsse er immer erst bezahlen, so Al-Ezzi. Jedes Amt verlange Geld, für eine fadenscheinige Bewilligung, Schmiergeld für den Beamten, für alles, egal was es ist: «Man muss immer zuerst dafür bezahlen, selbst wenn es eigentlich gratis ist.»
Geld verschwendet oder gestohlen?
Vor den Wahlen, an einer Veranstaltung in einem Hotel in Bagdad. Auf die Nationalhymne folgt eine Podiumsdiskussion über nachhaltige Wirtschaft im Irak. Teilnehmer ist der irakisch-amerikanische Wirtschaftsprofessor Ammar Al-Adhadh. Er war Regierungsberater in Katar und arbeitet auch für die UNO.
Jeder beschuldigt die Politiker des Diebstahls.
Die Regierung selbst gebe ja zu, dass schlecht gewirtschaftet worden sei. Bloss: «Jeder beschuldigt sie des Diebstahls», sagt Al-Adhadh. «Also entweder, die Politiker sagen, es ist kein Diebstahl, wir verschwenden also öffentliches Geld, oder sie sagen, es ist Diebstahl, und wir sind eine Diebesbande.»
Natürlich würde dies keine Regierung eingestehen, so der Ökonom. Aber die Politiker sollten nun hinstehen und sagen: «Wir haben uns in den letzten Jahren so stark im Kampf gegen das alte Régime und den IS engagiert, dass wir keine Zeit hatten, uns mit Managementfragen auseinanderzusetzen. Wir machen jetzt jenen Platz, die davon etwas verstehen.»
Mehr Experten braucht das Land
Anstatt Leute zu bezahlen, um sie politisch gefügig zu machen, wie das bisher üblich war, müssten sie Fachleute einstellen, ist er überzeugt. Leute, die wüssten, wie man zum Beispiel ein Kraftwerk baue und die Stromversorgung sicherstelle. Das Geld für solche Projekte sei da: Es brauche aber eine Umverteilung der Milliarden, die heute in der Verwaltung versickerten.
Und vor allem bräuchte es ein Umdenken, «damit staatliche Institutionen wieder effektiver werden», mahnt Professor Al-Adhadh. Er hatte auf einen Wahlsieg von Politikern gehofft, die Pragmatismus statt Ideologie versprachen. Und tatsächlich machte das Sayirun-Bündnis, das Lösungen für die dringendsten Alltagsprobleme versprach, am meisten Stimmen.
Kaum Verbesserung zu erwarten
Aber um eine Regierung zu bilden, braucht es unter anderem die Mithilfe der Dawa-Partei, die jahrelang an der Macht war und kaum etwas gegen die Korruption im Land unternommen hat. Eine Regierung, die griffige Massnahmen und Reformen durchsetzen will, dürfte es also schwer haben.
Der Künstler Al-Ezzi hingegen bleibt skeptisch. Er schreibt über Leute, die ihre eigenen Gesetze machen und sich am Geld der Allgemeinheit bedienen. Er hofft, dass sein Buch über die Korruption etwas verändern kann, und dass es im Juni im ganzen arabischen Raum veröffentlicht wird, nach dem Ramadan.