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Korruptionsfall Lula da Silva «Die Menschen gehen nicht mehr für Politiker auf die Strasse»

Während seiner Präsidentschaft 2003 bis 2011 war Luiz Inácio Lula da Silva im brasilianischen Volk sehr beliebt. Nun wurde das Urteil gegen ihn wegen Korruption in zweiter Instanz bestätigt. Ein Journalist vor Ort sagt, was das für ihn und seine geplante zweite Präsidentschaftskandidatur bedeutet.

SRF News: Was kann der ehemalige Präsident Brasiliens nach dem zweiten Urteil noch erreichen.

Thomas Milz: Durch die Entscheidung mit 3 : 0 Stimmen kann Lulas Urteil inhaltlich nicht mehr kippen. Es bleibt ihm die Möglichkeit, Einspruch bei der zweiten Instanz einzulegen, also bei der, die gestern das Urteil gesprochen hat. Allerdings kann er damit nur noch Zeit gewinnen.

Der ehemalige Präsident kann nur noch Zeit gewinnen. Inhaltlich ist nichts drin.

Zudem kann er noch an das oberste Justizgericht gelangen, wegen möglicher Verfahrensfehlern, und vor das Verfassungsgericht. Aber er kann nur Zeit gewinnen. Inhaltlich ist nichts mehr drin. Zudem stehen noch weitere fünf Prozesse gegen Lula an. Es drohen noch weitere Verurteilungen und höhere Haftstrafen.

Thomas Milz

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Milz arbeitet seit 15 Jahren als Journalist und Fotograf in Südamerika. Derzeit arbeitet er von Rio de Janeiro aus.

Seine Anhänger stehen nach wie vor hinter ihm. Nach dem Urteil kam es zu Protesten. Wie heftig sind diese ausgefallen?

Es gab nur wenige Proteste in rund zwei Dutzend Städten, sowohl pro als auch kontra Lula. Sie waren alle friedlich und waren nur kleine Proteste, nur mit wenigen 100 Personen. Nur in San Paulo kamen 50’000 Menschen zusammen.

Lula wird das Urteil einfach ignorieren und weiter kämpfen.

Dort hat die Arbeiterpartei zu Protesten aufgerufen und Lula hat selbst gesprochen. Er hat sich sehr kämpferisch gegeben. Er wird das Urteil einfach ignorieren und weiterkämpfen.

Lula will noch einmal Präsident werden. Ist das nach diesem Urteil noch realistisch?

Es ist fast unmöglich, dass Lula bei den Wahlen im Oktober antritt.

Ironischerweise hat Lula als Präsident das Gesetz «ficha limpa» (übersetzt weisse Weste) selbst in Kraft gesetzt. Es besagt, dass in zweiter Instanz verurteilte Politiker für acht Jahre nicht mehr antreten dürfen.

Es gibt in Brasilien ein Gesetz, das «Ficha Limpa» (auf deutsch etwa: reine Weste) heisst. Ironischerweise hat Lula dieses 2010 selber in Kraft gesetzt. Es besagt, dass in zweiter Instanz verurteilte Politiker nicht zu Wahlen antreten dürfen, sondern für acht Jahre gesperrt sind.

Lula hat jetzt folgende Strategie. Er muss bis am 15. August seine Kandidatur anmelden. Dann hat das Gericht einen Monat lang Zeit zu überprüfen, ob er überhaupt kandidieren darf. In diesem Augenblick wird Lula vor das Verfassungsgericht gehen und versuchen, eine einstweilige Verfügung zu erwirken, dass er unter Vorbehalt doch antreten kann. Das ist aber eher unwahrscheinlich, weil es Brasilien in ein juristisches Chaos stürzen würde.

Was ist denn die Taktik dahinter?

Lula weiss letztlich, dass er auf juristischer Ebene nicht gewinnen kann. Er muss versuchen, den Prozess auf die politische Ebene zu ziehen. Da ist er der grosse politische Fuchs. Seine Strategie ist, zu behaupten, dass es seinen Gegner darum gehe, seine erneute Kandidatur zu verhindern. Er selbst sagt ja, dass er unschuldig ist.

Brasiliens Politik befindet sich an einem kritischen Punkt. Korruptionsvorwürfe kleben auch an Interimspräsident Michel Temer. Was bedeutet das Urteil innenpolitisch für die kommenden Monate?

Bei den Wählern gibt es eine allgemeine Verunsicherung. Sie wissen nicht, ob Lula letztlich bei den Wahlen zugelassen wird oder nicht. Die Konsequenz ist letztlich, dass die Linksparteien rund um Lulas Arbeiterpartei geschwächt werden. Wenn sie auf Lula setzen, riskieren sie, dass sie einige Wochen vor der Wahl plötzlich ohne Kandidaten dastehen. Doch das können sie nicht machen. Es gibt jetzt schon kleinere Parteien, die eigene Kandidaten aufstellen. Das schwächt das linke Lager und stärkt einen möglichen Mitte-Rechts-Kandidaten.

Gegen Temer liegen auch zwei Prozesse vor. Im Moment hat er noch die präsidentielle Immunität. Im letzten Jahr hat der Kongress zweimal beschlossen, die Prozesse gegen ihn zu blockieren.

Michel Temer droht ein ähnliches Schicksal wie jetzt Lula da Silva.

Allerdings wird Temer sein Amt am 1. Januar 2019 an seinen Nachfolger übergeben müssen. In diesem Moment kommt er in die erste Gerichtsinstanz und ihm droht ein ähnliches Schicksal wie nun Lula da Silva.

Rechnen Sie mit heftigen Proteste in Brasilien?

Brasilien hat in den letzten drei Jahren eine Wirtschaftskrise und Korruptionsskandale ohne Ende erlebt. Die Korruptionsskandale treffen die Linken, die Rechten, die Mitte. Die Menschen sind enttäuscht von der Politik. Sie sind nicht mehr bereit, für einen Politiker auf die Strasse zu gehen. Deshalb rechne ich nicht mit grossen Protesten. Sie werden für den Kandidaten stimmen, der sich präsentiert. Das wird wohl nicht Lula sein.

Das Gespräch wurde von Roger Aebli geführt.

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