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Korruptionsprozess in Portugal In Lissabon steht Ex-Premier Sócrates vor Gericht

Der frühere sozialistische Ministerpräsident ist unter anderem wegen Korruption, Geldwäsche und Steuerbetrug angeklagt. Die rechte Chega macht damit seit Jahren Politik.

Unter dem Blitzlichtgewitter der Fotografen und vor laufenden TV-Kameras wird Portugals Ex-Premierminister José Sócrates im November 2014 am Lissabonner Flughafen verhaftet. Der ehemalige Shootingstar der sozialistischen Partei, der zwischen 2005 und 2011 Regierungschef gewesen war, kommt in Untersuchungshaft. Später trägt er jahrelang eine elektronische Fussfessel.

Prozess elf Jahre nach der Verhaftung

Fast elf Jahre nach seiner Verhaftung beginnt jetzt in Lissabon das Hauptverfahren gegen den ehemaligen Premier. Ihm werden dutzende Fälle von passiver Korruption sowie Geldwäsche und Betrug vorgeworfen, die er während und nach seiner Zeit als Premierminister begangen haben soll.

Laut der Staatsanwaltschaft soll Sócrates über einen befreundeten Geschäftsmann 24 Millionen Euro Schmiergeld erhalten haben. «Der Korruptionsprozess gegen Sócrates hat in den vergangenen zehn Jahren eine enorme Bedeutung gewonnen», sagt Micael Pereira von der Wochenzeitung Expresso. Er hat jahrelang über den Fall berichtet.

Die Untersuchungen und Prozesse dauern in Portugal zu lange – das wirkt sich negativ auf die Demokratie aus.
Autor: Marco Lisi Politikwissenschaftler an der Universität NOVA in Lissabon

Heute seien die Portugiesen viel stärker davon überzeugt, dass die Korruption ein schwerwiegendes Problem sei. Dabei sei Sócrates der erste Regierungschef in 50 Jahren portugiesischer Demokratie, der wegen Korruption angeklagt sei.

Rechtspopulisten machen Politik mit dem Fall

Das hat auch politische Folgen in Portugal. Die rechtspopulistische Chega-Partei hatte vor den Parlamentswahlen im Mai ihren Wahlkampf darauf zugeschnitten, die beiden bislang etablierten Volksparteien – die Konservativen und die Sozialisten – für ein «korruptes politisches System» verantwortlich zu machen.

Rechtspopulisten jetzt bei 23 Prozent

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Werbeplakat mit durchgestrichenen Porträts und Slogan.
Legende: Imago

Von vielen Wahlplakaten der Partei Chega prangte das Bild von Sócrates – als Sinnbild der korrupten etablierten Parteien. Das sei Teil einer politischen Strategie, sagt der Politologe Marco Lisi von der Universität NOVA in Lissabon: «Chega bringt andauernd die sozialistische Partei mit Sócrates in Verbindung.» Sie nutze dieses Argument im politischen Wettstreit, um das Image der Sozialisten zu schädigen.

Selber präsentiert Chega allerdings keine konkreten Massnahmen, wie Korruption in Portugal bekämpft werden kann. Und trotzdem profitiert sie davon, sich in den sozialen Medien als eine Anti-System-Partei zu etablieren: Zwischen 2019 und 2025 haben die Rechtspopulisten den Stimmenanteil von 1.3 auf knapp 23 Prozent ausbauen können.

Zudem deckt der Fall Sócrates auch reale Probleme in der portugiesischen Justiz auf: Der Ex-Premier hat mit unzähligen Berufungsverfahren den Prozess während elf Jahren bewusst ausbremsen können.

Die Staatsanwaltschaft schien bei der Aufarbeitung des komplexen Korruptionssystems streckenweise überfordert. Auch wurden fehlende Investitionen in die Modernisierung und Digitalisierung des Justizwesens offensichtlich.

Regierungen verschliefen nötige Justizreform

Für diese Missstände seien die konservative und die sozialistische Volkspartei durchaus mitverantwortlich, sagt der Politologe Marco Lisi von der Universität NOVA in Lissabon: Beide Parteien hätten es nicht geschafft, eine Justizreform durchzuführen. «Die Untersuchungen und Prozesse dauern zu lange.»

Eine Reform sei notwendig, damit die Justiz nicht indirekt die Stabilität der Regierung gefährde und dem Image der politischen Parteien schade. «Denn das wirkt sich negativ auf die Qualität der Demokratie und das Vertrauen der Menschen in die Politiker aus.»

Dass das Hauptverfahren im Korruptionsprozess gegen Sócrates nun trotz aller Hindernisse beginnen wird, sehen viele Fachleute aber dennoch als ein positives Signal für den demokratischen Rechtsstaat in Portugal.

Rendez-vous, 3.7.2025, 12:30 Uhr:weds

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