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Kosovos Premier tritt zurück Ramush Haradinaj: Kriegsverbrecher oder Sündenbock?

Kurz bevor er vor dem Spezialgericht wegen seiner Rolle im Kosovo-Krieg aussagen muss, tritt Kosovos Regierungschef Ramush Haradinaj überraschend zurück. Selbst politische Gegner zollen ihm dafür Respekt.

«Das sind sehr schlechte Nachrichten für den Kosovo», sagt die die Politologin Aulona Memeti. In Pristina würden sogar seine Gegner dem Ministerpräsidenten für dessen Rücktritt Respekt zollen. Haradinaj hat schon zweimal vor dem Tribunal in Den Haag ausgesagt. Dass er jetzt ein drittes Mal vorgeladen wird, ist für Politologin Memeti ein Unding. «Das bedeutet: Wer der internationalen Gemeinschaft nicht in den Kram passt, wird entfernt».

Im letzten November schuf sich Haradinaj in der internationalen Gemeinschaft neue Gegner, als seine Regierung auf Waren aus Serbien und Bosnien-Herzegowina einen Zoll in Höhe von 100 Prozent einführte. Doch ob das tatsächlich eine Rolle spielte bei seiner erneuten Vorladung nach Den Haag, ist fraglich.

Die wirklich Mächtigen bleiben unbehelligt

«Der Rücktritt ist eine grosse Überraschung», sagt François Poffet, ein langjähriger Deza-Mitarbeiter, der seit dem Kosovo Krieg im Land lebt. «Viele hier wollten Haradinaj stürzen sehen. Aber alle fragen sich, warum das gerade jetzt passiert ist», so Poffet.

Politologin Aulona Memeti sagt, was viele im Kosovo denken: «Haradinaj ist ein Sündenbock.» Die wahren Mächtigen im Kosovo, die sogenannte «Swiss Connection», bleiben unbehelligt am Ruder: Präsident Hashim Thaçi, Geheimdienstchef Xhavit Haliti und Parteichef Kadri Veseli.

Sie organisierten in den neunziger Jahren aus dem Schweizer Exil den Widerstand gegen die serbische Herrschaft. Heute halten sie das Land eisernen im Griff.

Die Korruption hat solch exzessive Ausmasse angenommen, dass im März sogar dem Schweizer Botschafter Jean-Hubert Lebet der diplomatische Kragen platzte. Bei der Eröffnung einer durch die Schweiz finanzierten Wasserversorgung in der Kleinstadt Skenderaj geisselte er die grassierende Korruption in Kosovo und den systematischen Missbrauch öffentlicher Gelder. Man werde nicht ewig Entwicklungshilfe leisten, warnte Lebet.

«Gesamtes Spektrum krimineller Aktivitäten»

Grundlage für die Vorwürfe des Kosovo Sondertribunals in Den Haag ist der Bericht des Sonderberichterstatters Dick Marty, den der Europarat Anfang 2011 angenommen hat. Der deutsche Bundesnachrichtendienst kam 2005 zum Schluss, dass sich der Familienclan von Haradinaj im Nachkriegskosovo «mit dem gesamten Spektrum krimineller, politischer und militärischer Aktivitäten» befasste. Trotzdem konnte er in der Folge bis zum Regierungschef aufsteigen.

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