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Kampf für die Unabhängigkeit
Aus 10 vor 10 vom 22.08.2022.
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Krieg gegen die Ukraine Ein Leben für die Unabhängigkeit

Ukrainerinnen und Ukrainer mit Jahrgang 1991 sind in Freiheit geboren. Was bedeutet es für diese jungen Menschen, sich für genau diese Unabhängigkeit jetzt einzusetzen? Die Reportage aus der Ukraine.

Wir treffen Anna Kowalenko in ihrer Wohnung im Stadtzentrum von Kiew. Nicht weit davon entfernt schlugen in den vergangenen Monaten Raketen ein. «Mein Mann und ich haben ausgemacht, dass wir nirgendwo hinfahren, sondern hier bleiben und kämpfen.»

Verteidigung beschäftigt die 31-Jährige seit acht Jahren. Sie war unter den ersten Demonstrantinnen und Demonstranten auf dem Maidan und war Leiterin einer Gruppe von Frauen, die zu den Selbstverteidigungsverbänden des Protests gehörten.

Anna Kowalenko auf dem Maidan
Legende: Anna Kowalenko gehörte zu den ersten Demonstrierenden auf dem Maidan. SRF

Bei einem Spaziergang auf dem Maidan erinnert sie sich an das unstimmige Bild von damals: «Ich war Richtung Maidan unterwegs bei gutem Wetter. Ich dachte mir: Das Leben ist toll, du lebst an einem tollen Ort. Alles schien gut. Doch dann ging ich an zwei Cafés vorbei durch eine Gasse, in welche die getöteten Demonstranten getragen wurden.»

Ein Recht seit Geburt

Nach dem Umsturz der pro-russischen Janukowitsch-Regierung kandidierte Anna Kowalenko 2014 zuerst vergeblich für das ukrainische Parlament. Darauf machte sie Karriere im ukrainischen Verteidigungsministerium, bevor ihr 2019 der Einzug ins Parlament gelang. 2021 berief Präsident Wolodimir Selenski sie als erste Frau landesweit in das Gouverneursamt einer Region.

Sie müsse nicht ihr Leben lang darum kämpfen, unabhängig zu werden, sondern sie kämpfe darum, es zu bleiben: «Ich habe dieses Recht auf Unabhängigkeit bei der Geburt erhalten. Es ist für mich nicht etwas Vergangenes. Es ist das, was wir die letzten vergangenen 31 Jahre hatten und was wir verteidigen müssen.» Sie ist überzeugt, dass die Ukraine aus dem Krieg als Siegerin hervorgehen wird.

Während ein Ende des Krieges zurzeit noch in weiter Ferne scheint, hat er zumindest für die Menschen im Norden der Hauptstadt Kiew Anfang April ein Ende gefunden.

Fotograf und Menschen mit Körben
Legende: Alexei Furman kehrt regelmässig an die Orte zurück, die von der ukrainischen Armee befreit wurden. SRF

Seit der Befreiung der Vororte Kiews durch die ukrainische Armee kommt der 31-jährige Fotograf Alexei Furman regelmässig in die Orte zurück, um das Leben der Menschen zu dokumentieren. An diesem Tag feiert die ukrainische Kirche «das Apfelfest des Retters». In geflochtenen Körben bringen die Menschen Äpfel zur Kirche, wo sie von Pfarrer Andrei gesegnet werden.

Ich habe nie zuvor so etwas gesehen. Die Leichen lagen übereinandergestapelt in schwarzen Leichensäcken.
Autor: Alexei Furman Fotograf

Das friedliche Bild unterscheidet sich stark von Alexeis erstem Besuch kurz nach der Befreiung. «Ich habe nie zuvor so etwas gesehen. Die Leichen lagen übereinandergestapelt in schwarzen Leichensäcken. Aber ein Teil der Leichen war einfach nur mit Sand bedeckt. Ich sah eine Hand aus dem Sand herausragen, dann einen Fuss», erzählt Alexei.

Alexei Furman, Mann mit Bart und Mütze
Legende: Alexei Furman fotografiert den Krieg seit Jahren. SRF

Obwohl er seit Jahren den Krieg fotografiert, hat er nie zuvor etwas Vergleichbares gesehen. Er wünsche sich, mehr Menschen in der Ukraine hätten bereits 2014 realisiert, was vor sich geht: «Als ich 2014 von der Krim zurück nach Kiew kam, war ich zu einer Geburtstagsparty von Freunden eingeladen. Ich sagte ihnen: Es sind russische Truppen in unserem Land und wir sitzen hier? Sie antworteten: ‹Das ist ein schwieriges Thema, können wir nicht darüber reden?›», erzählt er kopfschüttelnd.

Offiziers-Witwe: «Er hat sehr viel durchgemacht»

Wie für den Fotografen Alexei war auch für Wiktor Suschkow der Krieg die vergangenen acht Jahre sehr nah. Seine Frau Iryna erzählt uns: «Er hat den Krieg gesehen und erlebt. Er hat insgesamt sehr viel durchgemacht. Ich habe erlebt, dass er in jeder Situation zurechtkommt, auch in jenen, aus welchen ich keinen Ausweg sah.»

Portrait eines Mannes beim Grab
Legende: Wiktor Suschkow wäre 31 Jahre alt geworden. SRF

Wir treffen Iryna zu Hause bei ihren Eltern und ihrer Nichte in der Region Poltawa. Heute hätte Wiktor seinen 31. Geburtstag gefeiert, doch Wiktor ist im Dienst als Offizier der ukrainischen Luftabwehr knapp einen Monat nach Kriegsausbruch getötet worden.

Der Wunsch zu schreien

Seine Frau Iryna und seine Schwiegereltern haben entschieden, ihn im Dorf zu beerdigen. Denn sein eigenes Heimatdorf liegt in jenem Teil der Ostukraine, welcher seit acht Jahren von Russland besetzt wird. «Genauso wie die Ukraine einen sehr schweren Weg hat, so hatte auch er einen schweren Weg.»

Iryna Schschkowa und ihre Schwiegermutter an Wiktors Grab.
Legende: Iryna Schuschkowa und ihre Schwiegermutter an Wiktors Grab. SRF

Zum Zeitpunkt, als Wiktor im Krieg gefallen ist, fehlten der Ukraine vielerorts noch moderne Waffensysteme. Fünf Monate sind vergangen, seit Iryna mit 26 Jahren zur Witwe wurde: «Geblieben ist ein grosser Schmerz. Ich kann nicht sagen, dass ich durchgehend schreien möchte, aber doch sehr oft. Ich möchte schreien, damit alle davon hören. Davon, was für ein Mensch er war. Was bei uns vor sich geht.»

Junge Frau an einem Grab, im Hintergrund die ukrainische Flagge
Legende: Iryna Schuschkowa wurde mit 26 Jahren Witwe. SRF

«10vor10», 22.8.2022, 21:50 Uhr

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