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Krieg in der Ukraine «Es ist kein Durchmarsch, wie ihn sich die Russen erhofft hatten»

Bereits am Freitagabend hatte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski angekündigt, er erwarte in der Nacht einen Sturm der russischen Streitkräfte auf die Hauptstadt. Er hat die Bevölkerung Kiews aufgerufen, mit allen Mitteln Widerstand zu leisten. Und offenbar wird das gemacht. Wie diese Ereignisse militärisch einzuordnen sind, erklärt Mauro Mantovani. Er ist Experte bei der Militärakademie der ETH Zürich.

Mauro Mantovani

Sicherheitsexperte MILAK/ETH

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Der promovierte Historiker ist seit 2009 Dozent für Strategische Studien an der Militärakademie an der ETH. Er ist durch eine Reihe von Publikationen zur schweizerischen Sicherheitspolitik hervorgetreten. Zuvor arbeitete er unter anderem im Auslandnachrichtendienst (SND).

SRF News: Die ukrainischen Streitkräfte leisten heftiger Widerstand, als im Vorfeld erwartet wurde. Stimmt dieser Eindruck?

Mauro Mantovani: Ja. Wir sehen an verschiedenen Fronten taktische Vorstösse der russischen Armee, die zurückgeschlagen worden sind und die Russen haben angeblich bis zu 3000 Mann Verluste erlitten, 200 Mann sind in ukrainische Gefangenschaft geraten. Es ist kein Durchmarsch, wie ihn sich die Russen offenbar erhofft hatten.

Man sollte auf lange Sicht nicht unterschätzen, dass die Kampfmoral der Ukrainer offensichtlich sehr hoch ist.
Autor:

Wieso scheint es der ukrainischen Armee – zumindest laut den aktuellen Informationen, die wir haben – zu gelingen, so starken Widerstand zu leisten?

Ich denke, die ukrainische Armee hat die Vorteile des Verteidigers auf ihrer Seite. Das heisst, sie konnte sich vorgängig einstellen und Stellungen beziehen, die von der russischen Seite nicht aufgeklärt worden sind. Zum anderen sind sie im Besitz von Waffen für die Nahdistanz, und zwar in grosser Zahl aus der Sowjetzeit. Zum Teil noch Sturmgewehre, natürlich Mörser, Panzerabwehrlenkwaffen, schultergestützte Flugabwehrraketen und auch moderne amerikanische Raketen dieses Typs. Und schliesslich sollte man auch auf lange Sicht nicht unterschätzen, dass die Kampfmoral der Ukrainer offensichtlich sehr hoch ist.

Gemeldet werden Kämpfe an verschiedenen Stellen in der Stadt. Könnten Sie kurz sagen, wie man sich diese Kämpfe vorstellen muss?

Nun, die Russen rücken auf zwei Achsen von Norden her in Richtung Stadtzentrum von Kiew, weil dort natürlich das Oberkommando der Streitkräfte ist, auch das Parlament und die Regierung ist dort.

Ich rechne damit, dass es in den nächsten Tagen zum Sturz der Regierung kommen wird.

Die wollen sie stürzen. Ich rechne damit, dass es in den nächsten Tagen zum Sturz der Regierung kommen wird. Dabei werden sie unter Beschuss genommen. Das wiederum hat das Potenzial einer weiteren Eskalation, weil die Russen unter Umständen jetzt von ihrem engen Zeitplan abgekommen sind.

Das Gespräch führte Karin Britsch.

SRF 4 News, 26.02.2022; 08:00 Uhr ; 

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