Krieg in der Ukraine - Fehlende ukrainische Helfer: das britische Erdbeerproblem
Wenn 20'000 Saison-Angestellte aus der Ukraine plötzlich ausbleiben, bringt dies die britische Agrarwirtschaft in Not: Den Beeren- und Gemüseproduzenten fehlen auf einen Schlag zwei Drittel der Erntehelfer. Und im Inland Ersatz zu finden, ist praktisch unmöglich.
Die Erdbeere ist die Lieblingsfrucht der Britinnen und Briten. Doch in diesem Sommer droht die rote Frucht zur Mangelware zu werden. Grund: Auf vielen Erdbeerfeldern fehlen Erntehelfer und -helferinnen, die grösstenteils aus dem Ausland ins Vereinigte Königreich kommen.
Zwei Drittel der 30'000 ausländischen Saison-Angestellten stammten im vergangenen Jahr aus der Ukraine. Doch diese bleiben in diesem Sommer wegen des Krieges im Osten des Landes weg. Die ukrainischen Männer dürfen ihr Land nicht verlassen und viele von ihnen müssen an die Front, statt in England Erdbeeren pflücken zu gehen. Auch die ukrainischen Erntehelferinnen haben anderes zu tun.
Arbeitskräfte zu finden, ist ganz besonders schwierig in diesem Jahr.
Das bringt die britischen Beeren- und Gemüseproduzenten in Schwierigkeiten. Die 20'000 Pflückerinnen und Pflücker zu ersetzen, ist fast unmöglich. «Arbeitskräfte zu finden, ist ganz besonders schwierig in diesem Jahr», bestätigt Julian Marks. Er ist Geschäftsführer eines britischen Agrarunternehmens mit 1000 Angestellten. Auf 7000 Hektar kultiviert Barfoots in Südengland Rhabarber, Zucchetti, Spargel, Broccoli, Kürbis und Süssmais.
Neben dem Krieg ist auch der Brexit schuld
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Neben dem Krieg in der Ukraine gibt es noch einen zweiten Grund für das Rekrutierungsproblem des britischen Agrarsektors: Brexit. Seit 2019 ist der britische Arbeitsmarkt schrittweise abgeschottet worden. Das bekommt der Tieflohnsektor besonders stark zu spüren.
Das Migration Observatory schätzt, dass 2017 noch rund 500'000 EU-Bürger und Bürgerinnen zu tiefen Löhnen im Vereinigten Königreich arbeiteten. Seit die Personenfreizügigkeit mit der EU ganz gekappt worden ist, brauchen alle ausländischen Arbeitskräfte eine Arbeitserlaubnis. Ein solches Visum zu bekommen, ist aufwändig und teuer. Und das nehmen die bisherigen Erntehelfer und -helferinnen aus den mitteleuropäischen EU-Ländern immer weniger auf sich. Sie finden in anderen EU-Ländern einfacher eine Stelle.
Fürs Ernten und Verpacken setzt Baarfoots auf Saisonarbeitskräfte aus dem Ausland. «Die Ernte lässt sich nicht verschieben. Und wenn das Gemüse plötzlich zu gross ist, nehmen es die Detailhändler nicht mehr entgegen und wir müssen es verrotten lassen.»
Einheimische Erntehelfer sind selten
Die Ernte von Gemüse und Früchte geschieht nach wie vor zu einem wesentlichen Teil von Hand. Die Arbeit ist körperlich sehr anstrengend und mit umgerechnet knapp 13 Franken pro Stunde schlecht bezahlt. Nur wenige Briten sind bereit, zu diesen Konditionen zu arbeiten. Ausserdem herrscht im Land dank des rasanten Wiederaufschwungs nach der Covid-Krise praktisch Vollbeschäftigung.
«Wir könnten ja Briten und Britinnen einstellen, bekomme ich immer wieder zu hören, wie ein Mantra», schüttelt Nicholas Ottley vom Agrarunternehmen LJ Betts Limited den Kopf. «Wir haben wirklich alles versucht – ohne Erfolg. Seit vier Jahren sind wir in Kontakt mit dem Job-Center in Maidstone – und wir haben auf diesem Weg noch keine einzige Person gefunden.»
Wie und wo rekrutieren die britischen Farmer heute?
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Nach dem Brexit erlebt das Saisonier-Statut in der britischen Landwirtschaft ein Comeback: Heute heisst es «Seasonal Agricultural Workers Scheme» und erlaubt es ausländischen Arbeitskräften während sechs Monaten in Grossbritannien zu arbeiten. Im vergangenen Jahr wurden 30'000 solcher Arbeitsvisa ausgestellt. 2/3 gingen an Ukrainerinnen und Ukrainer. 8 Prozent an Russinnen und Russen. Gefolgt von Arbeitskräften aus Belarus, Tatschikistan, Moldavien, Rumänien, Usbekistan, Nepal und Kasachstan.
Vier Rekrutierungsunternehmen haben von den Behörden nach Brexit die Lizenz bekommen, ausländische Erntehelfer zu rekrutieren. Eine von ihnen ist AG Recruitement und kann im laufenden Jahr 7500 Personen rekrutieren. Die Stellenvermittlerin sucht nun verstärkt in Zentralasien, Bulgarien, Rumänien und Mazedonien. Doch im Monat Juni konnten 1000 Stellen nicht besetzen werden, wie die Firma gegenüber dem Wirtschaftsmagazin «The Economist» offenlegte. Und viele der gefundenen Erntehelfer sind Neulinge, brauchen Ausbildung und sind im Vergleich zu erfahrenen Fachkräften um ein Drittel weniger produktiv.
Weil er nicht genügend Arbeitskräfte rekrutieren kann, muss der Agrar-Unternehmer einen Teil der Ernte schweren Herzens verrotten lassen. Ottley: «Wir haben schätzungsweise bereits 150 Tonnen Salat verloren in diesem Jahr.»
Johnson empfiehlt Hightech-Maschinen als Ersatz
Maschinen sollen es richten. So lautet die Botschaft des britischen Premierministers Boris Johnson. Bei einem Besuch eines Zucchetti-Betriebes im Südwesten des Landes stellt Johnson Mitte Juni sein neues Ernährungsprogramm vor. Und er verspricht 270 Millionen Pfund Staatshilfe für die nächsten sechs Jahre für weitere Innovationsschritte hin zu einer nachhaltigen Agrarwirtschaft.
Damit sollen auch Ernte- und Setzmaschinen weiterentwickelt werden. Johnson: «Wir stecken viel Geld in neue Technologie. Ich habe soeben eine Maschine gesehen, die 150'000 Kohl-Setzlinge pflanzen kann – pro Tag!»
Springen Sans-Papiers und Migrantinnen ein?
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Ein Blick nach Süditalien und Sizilien zeigt: Auf vielen Bauernbetrieben arbeiten Bootsflüchtlinge, die sich mit Schwarzarbeit ihr Leben verdienen. Nicht selten hat die Mafia die Hände im Spiel.
Auch Grossbritannien erlebt einen grossen Zustrom von Flüchtlingen, die meist in Booten über den Ärmelkanal ins Land kommen und danach untertauchen. Im vergangenen Jahr verzeichnete das Innenministerium rund 28‘000 Ankommende.
«Bisher haben wir keine gesicherten Anzeichen, dass die Agrarwirtschaft auf illegale Migrantinnen und Migranten ausweicht, um die Rekrutierungsschwierigkeiten bei den Erntehelfern auszugleichen», sagt Kate Roberts von «Flex» auf Anfrage von SRF. Flex ist eine Organisation, die sich gegen Ausbeutung in der Arbeitswelt einsetzt und hat eine Studie zu den Arbeitsbedingungen von Arbeitsmigrantinnen und -migranten erstellt.
Migrationsexpertin Roberts macht ein anderer Punkt zunehmend Sorgen: Die Saison-Arbeitskräfte müssten nach Brexit von immer weiter hergeholt werden. Sie sprächen häufig schlecht Englisch und würden damit zu einfachen Opfern von Ausbeutung. Roberts: «Viele haben schon Schulden, wenn sie ins Land kommen – müssen die Kosten für die Reise zurückzahlen; die Gebühr für das Visum. Nicht wenige kennen ihre Rechte nicht und werden von Arbeitsvermittlern betrogen – mittels einer Vermittlungsgebühr, was illegal ist.»
Maschinen statt Menschen also. Doch der gegenwärtige Arbeitskräftemangel der britischen Gemüse- und Beerenproduzenten lässt sich so auf die Schnelle nicht beseitigen.
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