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Krieg in der Ukraine «Ich will den Russen kräftig den Hintern versohlen»

Der Gouverneur von Mykolajiw versucht, die Ukrainerinnen und Ukrainer mit Humor zu stärken. Es gelingt ihm, er ist beliebt.

Vor dem Krieg war Vitali Kim ein relativ unbedeutender Lokalpolitiker. Mit dem russischen Angriff wurde der Gouverneur der südukrainischen Stadt Mykolajiw bekannt. In unzähligen Videos berichtete er aus seiner umkämpften Stadt. Doch inzwischen hat der Gouverneur eine andere Aufgabe: Er muss die vom Krieg schwer gezeichnete Region am Laufen halten.

Entspannte Videos aus dem Krieg

Ursprünglich war Kim, der koreanische Vorfahren hat, als Unternehmer tätig gewesen. Er betrieb unter anderem eine Strandbar. 2020 ernannte ihn Präsident Selenski zum Gouverneur des Gebiets Mykolajiw. Richtig populär in der Ukraine wurde Kim im Krieg, dank seiner Videos, in denen er trotz ernster Lage stets eine bemerkenswerte Entspanntheit ausstrahlt.

Er erlaubt sich sogar Witze über die Russen: «Ein Land, das auf seinem Wappen ein Huhn hat, kann nie und nimmer ein Land besiegen, das auf seinem Wappen eine Gabel hat.» Ein Scherz, der auf den russischen Adler und den ukrainischen Dreizack anspielt.

Zwei Gemeinden werden noch beschossen

Inzwischen hat die ukrainische Armee die Invasoren fast vollständig aus der Region vertrieben. Doch Kim steht weiterhin vor grossen Problemen: «Zwei Gemeinden unseres Gebiets werden immer noch regelmässig beschossen. Dazu kommt, dass grosse Gebiete vermint sind.»

Vitali Kim empfängt zum Interview in einem verdunkelten Raum im Zentrum von Mykolajiw. Sein eigentlicher Amtssitz ist von einer russischen Rakete zerstört worden, mutmasslich war es ein Mordanschlag auf den beliebten Gouverneur. Er überlebte nur, weil er zu spät zur Arbeit kam.

Im persönlichen Gespräch ist Kim ganz anders als in seinen Videos. Er wirkt wie ein ernsthafter Verwalter, der seine vom Krieg versehrte Region zusammenhalten muss: «14'000 Gebäude sind zerstört oder beschädigt. Rund ein Viertel davon haben wir schon wieder repariert. Aber es gibt noch viel zu tun. Das Wichtigste ist, die Wirtschaft am Laufen zu halten.»

Ein zerstörtes Wohnhaus in Mykolajiew
Legende: Obwohl die russische Armee vertrieben wurde, wird Mykolajiw immer noch mit Raketen beschossen. Reuters/Stringer

Aber gerade die Wirtschaft ist bis heute vom Krieg massiv getroffen. Die Landwirtschaft, eine der wichtigsten Branchen der Region, sei um 20 Prozent eingebrochen. Zudem seien die Häfen wegen der russischen Blockade des Schwarzen Meeres geschlossen. Die regionale Wirtschaftsleistung ist allein dadurch um 30 bis 40 Prozent gesunken.

«Nur wenn du den Feind nicht fürchtest, kannst du ihn besiegen»

Der Krieg zerstört in der Ukraine nicht nur viel, der Krieg macht die Ukraine auch arm. Wie Kim es schafft, den Humor nicht zu verlieren, erklärt er so: «Humor ist das einfachste Instrument für die Aufgabe, die ich vor allem zu Beginn des Krieges hatte: Ich musste dafür sorgen, dass die Menschen in meiner Region keine Angst vor dem Feind haben. Denn nur wenn du den Feind nicht fürchtest, kannst du ihn besiegen.»

Er selbst, sagt Kim, ziehe seine Motivation aus zwei Dingen: «Erstens ist es meine Pflicht, weiterzumachen. Und zweitens will ich den Russen kräftig den Arsch versohlen.» Kim ist zu einem Symbol geworden für den ukrainischen Widerstandsgeist, der mutig, trotzig und manchmal auch ganz lässig daherkommt.

Zwei Musiker haben dem Gouverneur inzwischen eine Hymne gewidmet. «Guten Abend, wir sind aus der Ukraine», hört man Kim in dem Song sagen. Es ist die Standardbegrüssung in seinen Videos.

Rendez-vous vom 29.09.2023, 12:30 Uhr

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