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Krieg in der Ukraine Kramatorsk: Leben zwischen rosa Wänden und lauten Bomben

Kramatorsk. Von hier aus organisiert die Ukraine ihren Abwehrkampf im Osten, immer wieder wird die Stadt mit Raketen beschossen. Nachts hört man vom Horizont her das Donnern der Kanonen. Trotzdem versuchen die Einwohnerinnen und Einwohner, eine Art Alltag leben zu können. Drei Betroffene erzählen.

Der Oberstleutnant

Oberstleutnant Serhij Osatschuk
Legende:  «Hier in Kramatorsk wird entschieden, wie sich dieser brutale Krieg weiterentwickelt», sagt Oberstleutnant Serhij Osatschuk. Evgenij Zhynkar

«Kramatorsk ist die Hauptstadt des Donbass, das Ziel Nummer 1 Putins, der seinen Besatzungstruppen befohlen hat, die Region unter Kontrolle zu bringen.» Das sagt Serhij Osatschuk. Er ist Oberstleutnant der ukrainischen Grenzschutztruppen, die hier zusammen mit der ukrainischen Armee an der Front stehen. Osatschuk hat ihn Wien studiert, deswegen spricht er Deutsch; er war Gouverneur einer westukrainischen Provinz – und jetzt verteidigt er die Heimat im Osten gegen die russische Armee.

 «Wir befinden uns im Zentrum des ukrainischen Abwehrkampfes. Hier wird entschieden, wie sich dieser brutale Krieg weiterentwickelt.» Osatschuk fährt selbst regelmässig an die Front, etwa in die schwer umkämpfte Stadt Bachmut.

Kramatorsk ist Putins Ziel Nummer 1.
Autor: Serhij Osatschuk Oberstleutnant

Die Lage, sagt er, sei schwierig. «Die Situation ist sehr gefährlich, wir reden das nicht schön. Die Russen haben aus ihren Niederlagen von 2022 gelernt. Und sie verfügen über grössere Ressourcen, in jeder Hinsicht.»

Die Kaffeehausbesitzerin

Ekaterina Seledzova in ihrem pinken Laden.
Legende: Ihre Gäste tragen meistens Uniform: Ekaterina Seledzova. Evgenij Zhynkar

Der Krieg ist in Kramatorsk allgegenwärtig. Im Zentrum sind viele Soldaten im Kampfanzug unterwegs, Frontkämpfer in ihren zerbeulten Autos.

Aber es gibt auch vermeintlich alltägliches Leben in Kramatorsk: Im «Coffee House» trällert ein Popsong aus dem Lautsprecher. Das Café ist ganz in Rosa gehalten; in einer Vitrine stehen hausgemachte Torten mit opulenter Crème-Verzierung, eingelegten Kirschen obendrauf.

Eigentümerin Ekaterina Seledzova, 29, ist trotz der widrigen Umstände gut gelaunt. «Ich werde ständig gefragt, warum bei mir die Wände rosarot sind, meine Kunden aber vor allem Männer. Nun, ich wollte ein Café für mich machen, ein kleines Prinzessinnen-Haus, in dem sich Mütter mit Kindern, junge Frauen wohlfühlen. Ich wusste damals ja nicht, dass vor allem Männer kommen würden.»

Ich wusste damals ja nicht, dass vor allem Männer kommen würden.
Autor: Ekaterina Seledzova Kaffeehaus-Besitzerin

Die Männer, die sich hier einen Kaffee und ein Stück Kuchen holen, tragen meist Uniform. Der Krieg hat die Kundenstruktur des Cafés verändert. Das hat auch damit zu tun, dass von den 160'000 Bewohnern Kramatorsks die Hälfte geflohen ist – vor allem Frauen und Kinder. Café-Besitzerin Seledzova hält dem Krieg gleichwohl eine trotzige Lebensfreude entgegen. 

Ob eine Rakete kommt oder nicht, weiss man ohnehin nicht im Voraus. Warum also sich unnötig Sorgen machen?
Autor: Ekaterina Seledzova Kaffeehaus-Besitzerin

Auch der erneute Luftalarm bringt die junge Frau nicht aus der Ruhe. Ob eine Rakete komme oder nicht, wisse man ohnehin nicht im Voraus, sagt sie. Warum also sich unnötig Sorgen machen? Fatalismus als Überlebensstrategie. 

«Ich erzähle Ihnen eine lustige Geschichte. Hier im Nachbarhaus ist vor ein paar Wochen eine Rakete eingeschlagen. Ich habe damals gerade eine Crème für eine Torte auf dem Herd gehabt. Buummmm, Krach, die Fenster zitterten. Aber ich konnte die Crème nicht sein lassen, weil die anbrennt, wenn man nicht weiterrührt. Also bin ich einfach in der Küche geblieben.»

Die Rentnerin

Nina Timofeevna
Legende: Nina Timofeevna muss ihre Rente gut einteilen. Evgenij Zhynkar

Doch längst nicht alle Bewohnerinnen und Bewohner können so entspannt umgehen mit der schwierigen Lage. Auf dem Markt von Kramatorsk ist deutlich weniger los als vor dem Krieg. 

Die 72-jährige Nina Timofeevna ist gekommen, um Milch und Quark zu kaufen. Sie und ihr Mann hätten zusammen eine Rente von umgerechnet 200 Franken, sagt sie. Ein Grossteil davon gehe für Medikamente weg.

Fürs Essen bleibt dem betagten Ehepaar fast nichts mehr übrig – zumal die Preise stark gestiegen sind: «Milch hat früher 22 Hryvna gekostet, jetzt kostet sie 28 Hryvna. Ich hab soeben meine Rente bekommen, nun hab ich mir 3 Liter gekauft, davon werden wir jetzt zehren.»

Wenn es mich trifft, so hoffe ich, dass es gleich zu Ende geht. Dass ich nicht noch leiden muss.
Autor: Nina Timofeevna Rentnerin

Der Krieg bringt nicht nur Tod und Zerstörung nach Kramatorsk, sondern auch Armut und Angst: «Wenn doch nur der Krieg aufhören würde. Ich habe so Angst vor den Bomben. Und wenn es mich trifft, so hoffe ich, dass es gleich zu Ende geht. Dass ich nicht noch leiden muss.»

Nina Timofeevnas Wunsch nach Frieden wird vorerst kaum in Erfüllung gehen. In den letzten Tagen haben die Russen ihre Angriffe im Grossraum Kramatorsk noch einmal verstärkt.

SRF 4 News, 09.02.2023, 12:30 Uhr

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