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Krieg in der Ukraine Putins Lager nach Stalins Vorbild

Filtrationslager gehören zum dunkelsten Kapitel russischer Geschichte. Im Ukraine-Krieg werden sie wieder eingerichtet.

Drei Tage ist es her, seit die junge Frau der Hölle von Mariupol entkommen ist. «Viele von uns, die während zweier Monaten in Luftschutzkellern gelebt haben, sind noch in einem Stresszustand», erzählt Lera. Die Flucht aus dem Stahlwerk Asowstal ist ihr und den anderen Menschen mit der Unterstützung durch das Rote Kreuz und der UNO gelungen. Unterwegs aus der Hafenstadt Mariupol in die Stadt Saporischschja wurden sie von der russischen Besatzungsmacht aufgehalten und in ein sogenanntes Filtrationslager gebracht.

Frau
Legende: Lera hatte Glück: Nach nur einer Nacht konnte die junge Ukrainerin das Filtrationslager verlassen. SRF

«Frauen und Männer werden auf unterschiedliche Zelte aufgeteilt. Es wird kontrolliert, ob man in der Armee dient. Dazu wird der Körper auf blaue Flecken abgesucht, welche Schutzwesten hinterlassen. Die Hände werden darauf kontrolliert, ob man Waffen benutzt hat. Auch Frauen müssen sich ausziehen. Frauen kontrollieren Frauen, Männer kontrollieren Männer», schildert die junge Frau ihre Erlebnisse.

Rücksichtslosigkeit und Gewalt

Lera konnte das Filtrationslager nach einer Nacht verlassen. Doch zwei Menschen aus ihrer Gruppe wurden zurückgehalten. Darunter die Mutter eines vierjährigen Mädchens. «Sie war früher Ärztin in der ukrainischen Armee. Das haben die Kontrolleure im Lager aufgrund von Fotos in den sozialen Medien herausgefunden», erzählt Lera. Sie musste der Mutter versprechen, deren Tochter nach Saporischschja in Sicherheit zu bringen. Das vierjährige Mädchen ist in der Zwischenzeit in Obhut beim Bruder der Grossmutter. Doch die Mutter ist noch immer im Filtrationslager.

Filtrationslager – Relikt aus dunkle Zeiten

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Der Begriff Filtrationslager ist Teil des dunkelsten Kapitels russischer Geschichte. Die sowjetische Geheimpolizei NKWD verwendete den Begriff für Lager, in welche ehemalige Kriegsgefangene zur Kontrolle inhaftiert wurden.

Für Sowjetbürger, welche während des Zweiten Weltkriegs in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten waren, bedeutete die Freilassung aus der Kriegsgefangenschaft oft keine Entlassung in Freiheit. Denn sie wurden bei der Rückkehr in die Sowjetunion in die Filtrationslager gebracht. Damit wollte die sowjetische Geheimpolizei sogenannte «Volksfeinde» unter den ehemaligen Kriegsgefangenen aufspüren.

Neben internationalen Organisationen versuchen auch Privatpersonen, Menschen aus Mariupol und aus den von der russischen Armee besetzten Gebieten zu evakuieren. Ihr Engagement ist lebensgefährlich. Denn auch sie werden von den russischen Besatzern festgesetzt.

«Sie haben alle Taschen durchsucht. In meinem Portemonnaie haben sie neben ukrainischen Hrywnja auch ein paar Dollar gefunden. Das war für sie Beweis genug. Sie haben mich gezwungen, niederzuknien, mit dem Kopf zur Wand. Dann fingen sie an, mit den Knien auf mich einzutreten» berichtet ein Busfahrer, der zweimal nach Mariupol gefahren ist, um Personen dort zu holen.

Rucksack mit Blutspuren.
Legende: Am Rucksack kleben Blutspuren. Sein Gesicht will der Mann nicht zeigen, der mit einem Bus Menschen aus Mariupol evakuiert. SRF

An dem Rückenpolster seines Rucksacks sind Spuren von getrocknetem Blut zu sehen. Nach ein paar Stunden hätten ihn die russischen Besatzer laufen lassen. Andere jedoch sitzen seit Wochen in den Filtrationslagern fest.

«Niemand sagt etwas»

Mindestens vier Filtrationslager wurden seit Beginn des Überfalls auf die Ukraine in den von Russland besetzten Gebieten eingerichtet. Wie viele Menschen sich in diesen Lagern befinden, weiss niemand. Eine Ukrainerin, deren Partner in einem der Lager sitzt, erzählt SRF, dass sie vergeblich versucht habe, die Gründe für seine Haft zu erfahren.

Man sagt mir, ich solle mir keine Sorgen machen, die Menschen in den Filtrationslagern würden sich in Sicherheit befinden. Aber ich verstehe, dass dies nicht der Fall ist
Autor: Frau, deren Mann im Lager sitzt

«Niemand sagt irgendetwas. Die verschiedenen staatlichen Organe in den von Russland besetzten Gebieten schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Man sagt mir, ich solle mir keine Sorgen machen, die Menschen in den Filtrationslagern würden sich in Sicherheit befinden. Aber ich verstehe, dass dies nicht der Fall ist», sagt die Frau.

Freilassung bedeutet nicht Heimkehr

Selbst wer nach längerem Aufenthalt in einem Filtrationslager freigelassen wird, kann nicht in die Heimat zurückkehren. Denn die russische Armee erlaubt nur eine Ausreise nach Russland, nicht aber in die Gebiete unter Kontrolle der ukrainischen Armee. Laut ukrainischen Behörden sind auf diese Weise über eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer nach Russland deportiert worden.

Seitens der ukrainischen Behörden heisst es, man versuche den Menschen zu helfen, in die Ukraine zurückzukehren. Mit der Hilfe einiger Nachbarländer sei es sogar gelungen, einzelne Familien aus Russland zu evakuieren, sagt die ukrainische Ombudsfrau für Menschenrechte, Ljudmyla Denissowa. Angesichts dieser grossen Zahl dürfte es mehrere Jahre dauern, bis sie alle in die Ukraine zurückkehren können.

10 vor 10 vom 13.05.2022

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