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Krieg in der Ukraine Putins Stalin-Referenzen zur Einschüchterung der Eliten

Putin ist nicht nur militärisch im Kriegsmodus, sondern auch rhetorisch. Er wendet sich damit gegen jene im Land, die nicht auf seiner Linie sind.

In einer Fernsehansprache hat der russische Präsident am Donnerstag gegen die «Dreckskerle und Verräter» im eigenen Land ausgeteilt. Wladimir Putin sprach von einer «notwendigen Selbstreinigung der Gesellschaft». «Das ist eine totale Eskalation des innenpolitischen Tons», sagt David Nauer, langjähriger SRF-Russland-Korrespondent. «Und es ist ein Versuch, die Eliten auf Linie zu bringen, also jene, die früher viel im Westen unterwegs waren und westliche Güter gekauft haben.»

Putin braucht zum Teil Formulierungen aus der Stalinzeit, und die Russen wissen, was diese bedeuten.
Autor: David Nauer ehemaliger SRF-Korrespondent in Moskau

Sie seien wahrscheinlich nicht begeistert von diesem Krieg, zumal dieser schlecht laufe und Russland sich damit weitgehend isoliert habe. «Man kann es also so verstehen, dass Putin sich absichern möchte gegen potenzielle Gegner aus den Eliten, die gegen ihn aufbegehren könnten.» Ihnen zeige er, dass jegliche Form von Abweichlerei bestraft werde.

Erinnerungen an dunkle Zeiten

Putins Wortwahl – Stichwort Säuberungen – dürfte vielen Russinnen und Russen bekannt vorkommen. «Das löst Angst aus bei denjenigen, die es verstehen», so Nauer. «Denn Putin braucht zum Teil Formulierungen aus der Stalinzeit, und die Russen wissen, was diese bedeuten.» Eine Folge sei, dass seit Kriegsbeginn Zehntausende Russinnen und Russen ausser Landes geflohen sind. «Das sind Leute mit liberalen, prowestlichen Ansichten, also Leute, die Putin eben als Verräter beschimpft.»

Nauer hat auch selbst etwas Bemerkenswertes erlebt: «Es gibt einen Thinktank in Moskau, der vom russischen Staat mitbegründet wurde. Die Leute dort haben die Kreml-Linie oft auf intelligente Art und Weise erklärt. Ich habe früher gelegentlich Interviews mit ihnen gemacht.» Jetzt habe er wieder eine Interviewanfrage gestellt. Doch die Antwort des Thinktanks lautete: «Wir sagen nichts zur Ukraine.» «Das ist schon bezeichnend, dass sogar diese Leute Angst haben, etwas zu sagen.»

Massnahmen gegen Geheimdienstler

Es gibt bereits Anzeichen, dass auf Putins Worte auch Taten folgen. «Einerseits werden die Proteste gegen den Krieg im Keim erstickt», so Nauer. Laut Menschenrechtlern wurden bereits 15'000 Personen festgenommen bei Demonstrationen, die meisten vorübergehend. «Es gibt aber auch Meldungen aus dem Geheimdienstmilieu, die für Aufsehen sorgen», weiss der ehemalige Korrespondent. So sollen zum Beispiel zwei hohe russische Geheimdienstler unter Hausarrest gestellt werden.

Man hat das Gefühl, da werden Sündenböcke gesucht dafür, dass der Krieg nicht so gut läuft.
Autor: David Nauer ehemaliger SRF-Korrespondent in Moskau

Sie seien verantwortlich gewesen für die Informationsbeschaffung über die Ukraine, schreiben russische Medien. «Man hat das Gefühl, da werden Sündenböcke gesucht dafür, dass der Krieg nicht so gut läuft, wie Putin das geglaubt hat.» Wie immer bei den Geheimdiensten sei da zwar vieles im Nebel. «Doch jedenfalls hat man schon den Eindruck, dass auch in Sicherheitskreisen der eine oder andere Kopf rollt. Und das zeigt, dass der Kreml die Gangart verschärft, sogar gegen die eigenen Leute.»

Echo der Zeit, 18.03.2022, 18:00 Uhr ; 

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