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Krieg in Syrien «Es ist extrem schwierig, die Informationen zu verifizieren»

Der Syrienkrieg beherrscht weltweit die Schlagzeilen. Doch im Land gibt es keine unabhängigen Journalisten. Sie müssen quasi von aussen über die Lage in den umkämpften Gebieten des bürgerkiegsgeschüttelten Landes berichten. Immer wieder wird von SRF-Usern denn auch in Frage gestellt, wie unabhängig die Berichterstattung sei.

Inga Rogg berichtet immer wieder über den Syrienkrieg. Sie schreibt ihre Artikel für die NZZ von Istanbul aus, auch ist sie immer wieder bei Radio SRF zu hören. Im Interview betont sie, wie wichtig es eigentlich wäre, von vor Ort aus zu berichten. Und wie unmöglich das im Fall des Syrienkriegs ist.

Inga Rogg

Journalistin

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Inga Rogg ist freie Journalistin in Jerusalem. Sie berichtete zunächst für die NZZ von 2003 bis 2012 aus Bagdad, dann bis 2019 aus Istanbul. Von 2019 bis 2023 war sie NZZ-Korrespondentin in Jerusalem. Seit Sommer 2023 arbeitet sie als freie Journalistin.

SRF News: Können Sie nachvollziehen, dass sich Hörerinnen, Leser und User manchmal skeptisch zu Berichten aus Syrien äussern – auch zu Ihren?

Inga Rogg: Das kann ich durchaus verstehen. Der Krieg in Syrien ist enorm komplex: Es gibt inländische Kriegsparteien mit unterschiedlichen Interessen, hinzu kommen zahlreiche ausländische Kriegsbeteiligte. In jeder Region Syriens stehen sich andere Gruppierungen mit unterschiedlichen Kriegszielen gegenüber. Die aus diesen Gebieten stammenden Informationen zu verifizieren ist extrem schwierig. Ich kann nur betonen, dass wir Journalisten, die über diesen Konflikt berichten, alles tun, um die Informationen zu bestätigen.

Einbeiniger Mann mit Turban fährt vor zerbombten Häusern mit dem Velo vorbei.
Legende: Ost-Ghuta ist eine der derzeit am stärksten unter Bombardements leidenden Regionen. Reuters

Woher haben Sie Ihre Informationen über den Krieg in Syrien?

Nach Möglichkeit sind das immer zunächst Personen, die sich vor Ort befinden: Einwohner, Helfer, Aktivisten sowie Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen. Auch die unterschiedlichen Kriegsparteien werden als Quellen hinzugezogen, also die syrische Regierung und die Rebellengruppen. Dazu kommen Informationen von ausländischen Regierungen, von Diplomaten und von Experten. Gerade von letzteren gibt es zahlreiche, die jede Detailentwicklung in Syrien sehr genau mitverfolgen.

Oft braucht es sehr viel Aufwand und Energie, Informationen zu verifizieren.

Wie können Sie sich versichern, dass die Informationen aus diesen Quellen tatsächlich stimmen?

Ein Beispiel: Letzten Donnerstag schickte das IKRK zusammen mit dem Roten Halbmond einen Hilfskonvoi nach Afrin im Nordwesten Syriens. Dort kämpfen die türkische Armee und ihre syrischen Unterstützer gegen die Kurden, die das Gebiet kontrollieren. Es gab dann Berichte, der Konvoi sei angegriffen worden. Also suchte ich auf der Karte zunächst den Ort, an dem der Angriff angeblich stattgefunden hatte. Ich fand schnell heraus, dass er viel zu weit von der Strasse entfernt liegt, auf welcher der Konvoi unterwegs war. Dann suchte ich nach Bildern von dem Vorfall, fand aber keine. Tatsächlich dementierte das IKRK den Angriff später und teilte gleichzeitig mit, der Konvoi sei am Bestimmungsort angekommen. Das wiederum bestätigten auch die Kurden.

Es handelte sich also um eine totale Falschmeldung...

Ja. Allerdings ist es nicht immer so einfach, eine solche zu entlarven. Oft braucht es sehr viel Aufwand und Energie, solche Informationen zu verifizieren. In den sieben Jahren Syrienkrieg haben die Journalisten, die darüber berichten, alle ein Netzwerk an syrischen Vertrauenspersonen aufgebaut. Auf dieses können sie in solchen Situationen zurückgreifen.

Wie geht es ihrem Netzwerk nach sieben Jahren Bürgerkrieg?

Das ist sehr unterschiedlich. Die Kontakte von Istanbul aus in den Norden Syriens sind viel einfacher als jene in den Süden. So müssen etwa die Menschen im belagerten und seit Wochen beschossenen Ost-Ghuta bei Damaskus viel Zeit in Kellern verbringen, wo sie nicht erreichbar sind. Im Westen denkt man, die Menschen seien 24 Stunden am Tag online und hätten Hispeed-Zugang zum Internet. Doch so ist es natürlich nicht – nicht einmal die Telefonleitungen sind in Syrien stabil.

Soziale Medien wie WhatsApp oder Telegram spielen eine wichtige Rolle.

In Damaskus wiederum sind manche Personen durch das Regime gefährdet. Da müssen wir besonders vorsichtig sein, wann und wie wir sie kontaktieren. Soziale Medien spielen auch eine wichtige Rolle. In diesem Bereich gibt es zum Beispiel zahlreiche WhatsApp- oder Telgram-Gruppen, über die Informationen ausgetauscht werden. Syrer, die in die Türkei geflohen sind und in Kontakt mit ihren Familien in Syrien stehen, können ebenfalls als Quelle dienen. Allerdings haben inzwischen sehr viele Syrer ihr Land verlassen oder sie wurden innerhalb Syriens vertrieben. Andere, mit denen ich in Kontakt gestanden bin, sind im Verlauf dieses Krieges getötet worden.

Sie selber waren letztmals 2013 in Syrien und können seither nur noch aus der Ferne über den dortigen Krieg berichten. Wieso können Sie nicht mehr nach Syrien reisen?

Es ist tatsächlich das Frustrierendste, dass ich nicht aus Syrien Bericht erstatten kann. Ich höre nichts, sehe nichts und rieche nichts – doch eigentlich ist es das Wichtigste, vor Ort zu sein, wenn man über ein Geschehen berichtet. Das geht nicht, weil die Grenzen dicht sind. Von der Türkei aus ist es nicht möglich, nach Syrien einzureisen, ebenso von Irak aus im Osten. Auch erhalten nur sehr wenige westliche Journalisten ein Visum der syrischen Regierung, um per Flugzeug direkt nach Damaskus zu reisen.

Journalisten wird mit rechtlichen Konsequenzen gedroht, sollten sie illegal nach Afrin reisen.

Gibt es keine Möglichkeit, ohne Bewilligung der Behörden nach Syrien zu gelangen, um von dort zu berichten?

Solche Aktionen sind grundsätzlich mit Risiken verbunden – und im Fall von Syrien praktisch unmöglich. Die türkische Regierung hat uns akkreditierten Journalisten etwa ausdrücklich mit rechtlichen Konsequenzen gedroht, sollte man versuchen, nach Afrin zu gelangen, um von dort zu berichten. Das kann einen Gerichtsprozess, einen Landesverweis oder einen Gefängnisaufenthalt bedeuten. Dasselbe wird einem von Damaskus angedroht.

Bewaffneter Soldat steht neben einer Mauer, auf der ein Plakat mit dem Konterfei von Baschar al-Asssad hängt.
Legende: Im Syrienkrieg sind gesicherte Informationen schwierig zu erhalten: Russischer Soldat in Damaskus. Reuters

Trotzdem gibt es immer wieder Journalisten, die aus Syrien berichten. So befindet sich derzeit ein Mitarbeiter des britischen Senders Channel Four in Damaskus. Wie frei können diese Journalisten berichten?

Mit einer Genehmigung von Damaskus kann man nur von der Regime-Seite berichten. Das hat der Kollege von Channel Four auch deutlich gemacht: Er ist an die Frontlinie nach Ost-Ghuta gegangen und stand dann vor einem zugeschütteten Kontrollposten. Weiter kam er nicht. Diese Journalisten werden in Damaskus vom Regime überwacht und können nicht frei berichten. Trotzdem sind solche Berichte wichtig, weil man so auch die Seite des Regimes mitbekommt. Zudem werden etwa das Ausmass der Luftangriffe auf Ost-Ghuta sowie umgekehrt jenes der Mörsergranaten-Angriffe aus dem Rebellengebiet auf die Hauptstadt etwas deutlicher.

Das Gespräch führte Hanna Jordi.

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