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Krise folgt auf Krise Puerto Rico – eine «postkoloniale Kolonie» in Nöten

Skandale, Schulden, Sturmschäden: Was ist los in Puerto Rico, dem teilautonomen Aussengebiet der USA in der Karibik?

Puerto Rico hat turbulente Wochen hinter sich: Im Juli demonstrierten fast eine Million Menschen – ein Drittel der Bevölkerung – während Tagen gegen Korruption und die Regierung. Als Gouverneur Ricardo Rosselló darauf seinen Sessel räumte, folgte ein Streit um seine Nachfolge. Dieser wurde letzte Woche mit der Vereidigung von Justizministerin Wanda Vazquez als neuer Gouverneurin des teilautonomen Aussengebietes der USA beendet.

Wanda Vazquez an einem Tisch, einen Zeigefinger hochhaltend.
Legende: Ob nun Ruhe einkehrt? Wanda Vazquez, ex-Justizministerin, ist nun Gouverneurin der Karibikinsel. Keystone

Doch ein teilautonomes US-Aussengebiet, was ist das eigentlich? Eine berechtigte Frage, findet Jorge Duany, Anthropologe an der Florida International University in Miami, der auf Puerto Rico aufwuchs und bis vor wenigen Jahren dort lebte. Der unklare Status der Insel sei eine Folge der Geschichte: Vor 120 Jahren haben die USA die Insel besetzt und sie wie eine Kolonie verwaltet. In den 1950er Jahren gewährte man ihr zwar teilweise Selbstverwaltung. Zu einem US-Bundesstaat wurde Puerto Rico aber nie.

Jorge Duany sitzt neben einem Möbel mit zwei kleinen, gerahmten Bildern drauf.
Legende: Jorge Duany von der Florida International University in Miami hat selbst auf der Insel gelebt. SRF

Sie sei sozusagen eine postkoloniale Kolonie, so Duany. Der US-Präsident ist zwar das Staatsoberhaupt von Puerto Rico und der US-Kongress hat das letzte Wort, aber wählen dürfen die Bewohner nur die eigene Inselverwaltung. Und gegen diese hatte sich die Bevölkerung in den letzten Wochen erhoben.

Auslöser waren zwei Ereignisse: Zunächst wurden verschiedene Minister und Beamte wegen Korruption verhaftet. Kurz darauf wurde ein Gruppenchat Rossellós mit Regierungskollegen publik, in dem sich diese abschätzig über Regierungsgegner, Parteifreunde und vor allem gegen Frauen äusserten.

Der Chatverlauf offenbarte den Zynismus und die Respektlosigkeit der Machthaber, was die Bevölkerung in Massen auf die Strassen trieb. Denn die Puerto-Ricaner haben harte Jahre hinter sich: Seit 13 Jahren herrscht Rezession. Und vom Hurrikan Maria hat sich die Insel bis heute nicht erholt.

Menschenmenge mit Fahnen Puerto Ricos.
Legende: Es kam zu spontanen Freudenfeiern auf den Strassen, als der verhasste Gouverneur zurücktrat. Reuters

Die Menschen hätten ganz einfach genug von all diesen Problemen, glaubt Duany. Ein Teil der wirtschaftlichen Probleme sind zudem hausgemacht: Den Schuldenberg von über 70 Milliarden Dollar hat die Inselverwaltung leichtsinnig angehäuft. Als Zahlungsunfähigkeit eintrat, konnte Puerto Rico als nicht-souveräner Staat aber keine Hilfe bei Stellen wie dem IWF beantragen. Vor drei Jahren stellte der US-Kongress die Insel deshalb unter Zwangsverwaltung. Diese setzt seitdem rigorose Sparmassnahmen durch.

Porträt von Pedro Rossellò (Gouverneur vbis 2001) in einem Regal, daneben ein Riss in der Wand
Legende: Die schweren Schäden, die Hurrikan Maria vor zwei Jahren verursachte, sind noch nicht behoben. Reuters

Noch drastischer waren die Auswirkungen, als Washington vor 13 Jahren die Steuerprivilegien kappte, mit denen Puerto Rico zuvor Produktionsbetriebe auf die Insel gelockt hatte. Es setzte ein Exodus von Unternehmen ein.

Die Wirtschaft schrumpfte um 17 Prozent – zeitweise verlor fast ein Drittel der Beschäftigten die Stelle. Obwohl Entscheide in Washington und der spezielle Status der Insel die wirtschaftliche Misere mitverursacht haben, richtet sich der Unmut der Bevölkerung aber vor allem gegen die politische Elite.

Karte der Karibik/Golf von Mexiko, Puerto Rico und die USA sind eingezeichnet/angeschrieben.
Legende: Puerto Rico bedeutet «reicher Hafen». Davon ist nicht viel übrig, seit die Wirtschaft am Boden liegt. SRF

Denn diese streitet lieber darüber, ob die Insel dereinst unabhängig oder ein vollwertiger Bundesstaat werden soll. Doch beides ist nur mit der Zustimmung aus Washington möglich – und die ist während der Präsidentschaft von Donald Trump undenkbar: Die Bevölkerung von Puerto Rico habe dies schneller begriffen als die politische Elite und fordere deshalb konkrete Lösungen für praktische Probleme, statt fruchtlose Debatten darüber, welchen Status die Insel anstreben soll, sagt Duany.

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