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Krise in Griechenland «Beim Mittelstand gab es noch etwas zu holen»

SRF News: In Griechenland geht es mittlerweile auch dem Mittelstand deutlich schlechter. Woran liegt das?

Rodothea Seralidou: Der Mittelstand war in den letzten Jahren derjenige, bei dem noch etwas zu holen war. Also hat ihn die Regierung stärker ins Visier genommen: Die Selbstständigen – Rechtsanwälte, Ingenieure, Apotheker – aber auch die Beamten. Sie hat die Gehälter und die Renten stark gekürzt. Gleichzeitig stiegen die Steuern und Sozialabgaben enorm an.

Rodothea Seralidou

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Die Journalistin berichtet seit 2011 für SRF und ARD aus Griechenland. Sie lebt in Athen.

Wie stark ist die Belastung denn?

Als Beispiel: Die Einkommensteuertabelle bei Selbstständigen fängt bei 26 Prozent des Einkommens an, auch wenn jemand nur 500 oder 600 Euro im Monat verdient. Für die Rente und Krankenkasse müssen weitere 40 Prozent des Einkommens bezahlt werden. Unter dem Strich bleibt also wirklich nicht viel zum Überleben übrig.

Wie stark werden denn die Reichen und Reichsten in Griechenland besteuert?

Der aktuelle Spitzensteuersatz liegt bei 45 Prozent des Nettogewinns. Wer nur schon 40'000 Euro im Jahr verdient, muss fast die Hälfte seiner Nettoeinnahmen dem Staat geben. Das eigentliche Problem ist aber, dass keine Regierung an die wirklich Reichen rankommt – oder nur sehr schwer. Die meisten Superreichen haben ihre Schäfchen bereits ins Trockene gebracht. Sie haben ihren Firmensitz ins Ausland verlegt und auch ihr Geld dorthin gebracht. Zum Beispiel ins Nachbarland Bulgarien, wo sie nur einen Steuersatz von 10 Prozent bezahlen. Der griechische Staat geht in diesem Fall komplett leer aus.

Die EU-Finanzminister diskutieren heute, ob Griechenland die nächste Tranche an Hilfsgeldern bekommen soll. Gleichzeitig betont Ministerpräsident Tsipras er wolle und könne nicht noch mehr sparen. Hat er überhaupt eine Wahl?

Theoretisch ist alles Verhandlungssache. In der Praxis ist es aber sehr schwer für ihn, neue Sparmassnahmen zu umgehen. Vor allem, weil der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble eine harte Linie fährt und auch andere Länder auf weitere Sparmassnahmen bestehen. Deshalb geht man in Griechenland davon aus, dass Tsipras schliesslich neuen Sparmassnahmen zustimmen werden muss. Oder – und auch das gilt als mögliches Szenario – er wirft schon bald das Handtuch und löst so vorgezogene Neuwahlen aus.

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