Das 3000-Seelendorf Criel-sur-Mer in der Normandie liegt an der spektakulären Alabasterküste mit ihren 100 Meter hohen Kreidefelsen.
Das Problem der Gemeinde: sie verliert 30 Zentimeter Felsen pro Jahr, und muss jederzeit mit grösseren Felsabbrüchen rechnen. Der letzte war vor wenigen Monaten – ein Haus ist seither unbewohnbar.
Die Erosion ist ein grosses Thema in der Gemeinde. Gemeindepräsident Alain Trouessin muss jeweils die Entscheidung treffen, welche Häuser gefährdet sind.
Er versucht, die Bevölkerung darauf vorzubereiten, dass der Felsen nach und nach der Erosion zum Opfer fallen wird – und somit auch die Häuser an der Küste. «Lange glaubte der Mensch, er sei stärker als die Natur. Man betonierte, ging hin und intervenierte. Aber irgendwann kommt das Meer trotzdem. Wir können nichts dagegen tun.»
Der Gemeindepräsident plant einen Rückzug ins Landesinnere. Gemäss Berechnungen müssen in den nächsten 50 Jahren 32 Häuser in Criel-sur-Mer abgerissen werden, in 100 Jahren wären es 70. Man müsse die Einwohner beschützen und sie deshalb enteignen, falls ihr Haus zu nah am Abgrund stehe, so Trouessin.
In der Bevölkerung kennt man das Phänomen – und ist besorgt: «Felsabbrüche werden immer häufiger. Ich kannte noch Häuser auf der anderen Seite der Strasse. Heute gibt es diese Häuser nicht mehr und auch die Strasse nicht», sagt Jean-Pierre Cellier. Er besitzt eine Wohnung etwas weiter entfernt vom Felsvorsprung.
Zehntausende Häuser bis 2100 betroffen
Nadine Bry lebt mit ihrem Mann nur rund 30 Meter vom Abgrund entfernt. Sie sei sich des Risikos bewusst, aber gemäss Schätzungen sollte es noch ungefähr 50 Jahre dauern, bis die Erosion ihr Haus unbewohnbar mache: «In 50 Jahren werden wir sowieso nicht mehr da sein. Ich geniesse jeden Tag die tolle Aussicht auf das Meer und habe keine Angst vor der Zukunft.»
Die Erosion der Küste ist in ganz Frankreich ein Problem. Schätzungen gehen von 13'000 bis 47'000 betroffenen Wohnungen bis zum Ende des Jahrhunderts aus. 208 Gemeinden liessen sich wegen Erosionsproblemen in einem staatlichen Register eintragen.
Wie schnell die Erosion voranschreite, hänge von verschiedenen Faktoren ab, sagt Stéphane Costa, Geo-Morphologe an der französischen Universität Caen: «Die Klippen werden durch die Bewegung des Meeres ausgehöhlt und erodieren so. Zusätzlich kommt es zu Felsabbrüchen, wenn zum Beispiel Regenwasser in die Böden einsickert und gefriert.»
Der Natur mehr Platz lassen
Erosion existiere auch bei den Stränden, diese könnten sich aber abwechseln mit Phasen der Ablagerung: «Die Strände sind in ständiger Bewegung. Mit dem Anstieg des Meeresspiegels dürften sie allerdings tendenziell weiter landeinwärts wandern, respektive verschwinden.»
Das Hauptproblem gemäss dem Spezialisten: Man habe früher zu nahe an die Küsten gebaut und zu stark in die Natur eingegriffen.