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Bild 1 von 3. Die «Wilde Renate» im Berliner Ortsteil Friedrichshain gibt es schon seit 2007. Bildquelle: SRF / Simone Fatzer.
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Bild 2 von 3. Zoe Eulental (links), Leiterin, mit einer Kollegin in der «Wilden Renate». Bildquelle: SRF / Simone Fatzer.
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Bild 3 von 3. Drei Stockwerke, drei Dancefloors. Ende 2025 könnte es vorbei sein für die «Wilde Renate». Bildquelle: SRF / Simone Fatzer.
«Ich muss zugeben, auch ich hatte Mühe, mich hier zurecht zu finden.» Zoe Eulental führt – tagsüber – durch den verwinkelten Club «Wilde Renate», den sie leitet. Auf drei Stockwerken, mit drei Dancefloors und zwölf DJs, mit unzähligen Chill-out-Rooms und diversen Bars wird am Berliner Ostkreuz die Nacht zum Tag.
Die «Wilde Renate» ist ein runtergerocktes Wohnhaus, mitten in einem Wohnquartier. Die Gebäude rundherum sind saniert, die Renate bleibt wild – noch. Ende Jahr droht das Aus, der Vermieter will bauen. Der berühmte Club wird schliessen müssen, nach 18 Jahren.
Der Partyexzess hat abgenommen
Zwei Clubs in drei Jahren hat Leiterin Zoe Eulental aus demselben Grund zugemacht. Hundert Leute verlieren ihren Job.
Das legendäre Berliner Nachtleben ohne Sperrstunde steckt im Wandel. «Das superlange Ausgehen hat sich seit Corona krass verändert.» In der «Renate» wird bis 8 Uhr gefeiert. «Früher gabs keine Endzeit, da hat man einfach geguckt, wie lange alle stehen konnten.»
Clubbing hat sich auch enorm verteuert: Vor 15 Jahren konnte man für 5 Euro in einen Club. Heute kostet das leicht mal 30 Euro, plus Getränke. Das können sich eher die über 30-Jährigen leisten.
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Bild 1 von 3. Das Gebäude der «Wilden Renate» hat bald ausgedient. Die Innenstadt wird neuer, alte Ecken verschwinden. Bildquelle: SRF / Simone Fatzer.
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Bild 2 von 3. «In Renate we trust» steht auf dem Häuschen im dazugehörigen Garten. Früher wurde hier auch einmal bis in den nächsten Nachmittag gefeiert. Bildquelle: SRF / Simone Fatzer.
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Bild 3 von 3. Neben Partys finden im Club auch andere kulturelle Veranstaltungen statt. Bildquelle: SRF / Simone Fatzer.
Die Nischen in der Innenstadt verschwinden, Lärmauflagen werden verschärft, Nachtschwärmer werden weniger. Längst ist die Rede vom Clubsterben.
Berlin hat einen Ruf zu verlieren
«Ohne seine Clubs verliert Berlin sein Herz», sagt Emiko Gejic. Sie lobbyiert in der Clubkommission für die Szene, die bis 2019 boomte. «Die Stadt ist explodiert, vor jedem Club war eine riesenlange Schlange – das hat sich verändert.»
Dazu kommen steigende Energiepreise, steigende Personalkosten, steigende Mietpreise. «Ganz schön viel für kleine Betriebe.»
Die Politik in Berlin hat das Problem erkannt. Schliesslich geht es um einen relevanten Wirtschaftsfaktor: Über 300 offizielle Clubs und 60'000 Veranstaltungen generierten 2023 mit Clubtourismus in der Hauptstadt 1.5 Milliarden Euro. Die Regierung bietet am Stadtrand zwar alternative Orte für Clubnächte an, etwa auf den ehemaligen Flughäfen Tegel und Tempelhof. Doch was wirklich helfen würde, wären andere Strukturen. Das Bestehende müsste geschützt werden. Aber da treffen zu viele Interessen aufeinander.
Clubs gehören zur DNA der wiedervereinten Stadt
Elektronische Musik gehört zur Identität Berlins. Techno prägte die 90-er Jahre, als hier die Love Parade entstand, und gehört zum Unesco-Weltkulturerbe. Die Clubs sind mit ihren teils hochdotierten Musikern Kult- und Kulturstätten.
Die Stadt Berlin wurde zur Partymetropole wegen ihrer Geschichte als geteilte Stadt.
In der Anarchie entstand eine vielfältige Subkultur
In den 80er-Jahren pilgerten junge Leute nach Westberlin. Auch Christiane Rösinger entfloh dem Mief Süddeutschlands. Aus der herausgeputzten, heilen Welt in die morbide, heruntergekommene Metropole – «alles grau und verraucht und kaputt und überall fehlte ein Haus. Das war wahnsinnig faszinierend, alle, die Du kennen gelernt hast – die kamen ja auch aus irgendeinem Kaff – sagten ‹ach, ich mach Kunst, ich mach das und das›.»
Als die Mauer fiel, konnte sich im Osten der Stadt eine vielfältige Subkultur entwickeln. In den Hausruinen nisteten sich Künstlerinnen, Bars und Clubs ein. Die Polizei war mit dem Zusammenwachsen der Stadt beschäftigt. Christiane Rösinger machte Musik, etwa mit den Lassie Singers, und betrieb die Flittchenbar.
Da sei auch viel Alkohol geflossen, erzählt die 64-Jährige. «Ich bin dann zweimal in Ohnmacht gefallen und von der Rettung abgeholt worden. Irgendwann wurde mir das zu anstrengend. Aber das ist normal, da war ich ja schon über fünfzig».
Heute sind viele der alten Freiräume weg, Berlin verdichtet sich, wird gentrifiziert – die Subkultur wird verdrängt. «Ich mache mir schon Sorge, dass alles vor die Hunde geht. Da ist so eine grosse Unsicherheit.»
Die Not der freien Szene ist gross
In Berlin war das Leben lange besonders günstig, das hat sich verändert. Für die vielen freien Künstlerinnen, Musiker, Maler, Tänzerinnen, ist es fast unmöglich geworden, einen bezahlbaren Arbeitsraum zu finden.
Einen Raum zu haben, gibt einem eine gewisse Selbstsicherheit.
Künstlerin Magdalena Mitterhofer aus Südtirol hatte die Suche schon fast aufgegeben. Da bekam sie ein günstiges Tanzstudio durch die Raumvermittlung der Stadt. «Wenn man so 'ne Art von Kunst macht, fragt man sich eh die ganze Zeit, was mache ich überhaupt. Und so einen Raum zu haben, gibt einem eine gewisse Selbstsicherheit.»
Sie sei immer auf der Kippe, sagt die 31-Jährige. Wenn sie kein Projekt hat, braucht sie Sozialhilfe. Zwischendurch bekam sie auch Aufträge an grossen Theatern. Doch damit ist nun Schluss. Die Berliner Regierung hat harte Kürzungen in der Kultur beschlossen. Die grossen Institutionen streichen gerade diese freien Projekte, weil das leicht geht.
Die Kulturkürzungen der Stadt treffen eine verunsicherte Szene
Um 130 Millionen Euro hat die Berliner Regierung den Kulturetat allein 2025 gekürzt. Das trifft auch grosse Institutionen wie das berühmte Berliner Ensemble. Sie hätten erst im Januar erfahren, dass sie im selben Jahr eine Million einsparen müssten, beklagt sich Theaterintendant Oliver Reese. «Das ist nicht wirtschaftliche Planbarkeit.»
Sie mussten vieles streichen: Produktionen, Bühnen- und Kostümbildnerinnen, Regisseurinnen. Kleine Institutionen fürchten um ihre Existenz. Diese überstürzten Kürzungen sorgten für eine Empörungswelle in der Berliner Kulturszene. Diese steckt eh in einer gesellschaftlich schwierigen Phase: Kriege und politischer Rechtsrutsch sorgen für Verunsicherung und ein Gefühl der Machtlosigkeit.
Just jetzt muss die Kulturszene um ihre Existenz fürchten, die fehlende Wertschätzung schmerzt. Viele fragen sich: Was hat Berlin schon zu bieten, ausser seine immens vielfältige Kulturszene, sein Clublandschaft und die aufregende freie Szene. Es geht um nicht weniger, als die Identität dieser Stadt.