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Landtagswahlen in Deutschland Die AfD will Volkspartei werden – und wirbt darum um Migranten

Gleich in drei ostdeutschen Bundesländern wird im September ein neues Parlament gewählt. Der Landtag in Brandenburg, Thüringen und Sachsen. Grösste Gewinnerin könnte die Rechtsaussenpartei AfD werden. Mittlerweile wirbt die AfD gezielt um die Stimmen von Menschen mit Migrationshintergrund. Ein Soziologe erklärt, was die Erfolgschancen der Partei sind.

Özgür Özvatan

Soziologe

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Özgür Özvatan ist Politischer Soziologe mit besonderem Fokus auf Gesellschaftsforschung, speziell Integrations-, Extremismus-, Umwelt- und Demokratieforschung. Er studierte Interdisziplinäre Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin, promovierte an der Berlin Graduate School of Social Sciences (BGSS), war Visiting Fellow an der Universität in Melbourne und Gastprofessor an der Universität in Toronto.

SRF News: Warum bemüht sich die AfD um die Stimmen von Migrantinnen und Migranten?

Vor einem Jahr hat die AfD Zustimmungswerte von 20 bis 25 Prozent erreicht: Das ist in etwa die natürliche Grenze an Stimmen, die die Partei bei erzkonservativen Wählerinnen erreichen kann. Wenn sie eine Volkspartei werden möchte, muss sie aber mehr als 30 Prozent erreichen. Und dafür braucht sie eben noch mal fünf bis zehn Prozent Stimmenanteile von Menschen mit Migrationshintergrund.

Welche Migrantinnen und Migranten spricht die AfD besonders an?

Es gibt einige Gruppen, die von sich aus schon der AfD nahestehen: allen voran die Russlanddeutschen. Die Partei bemüht sich aber auch um muslimische und vor allem türkeistämmige Gruppen. Für diese gibt es seit dem letzten Sommer ein sehr spezifisches Angebot.

Dabei hat die AfD ja schon mit dem Slogan geworben «Der Islam gehört nicht zu Deutschland»?

Ja, das stimmt. Und natürlich ist es nicht so, dass die AfD versucht, alle Musliminnen und Muslime für sich zu gewinnen. Es gibt aber Wählerblöcke innerhalb dieser Gruppe, die vielleicht auch von sich aus islamkritische Standpunkte vertreten, weil sie den politischen Islam im Heimatland – zum Beispiel in der Türkei – erlebt haben und da eine gewisse Skepsis entwickelt haben.

Bei der digitalen Ansprache ist die AfD mindestens zwei Schritte weiter als die demokratischen Parteien.

Diese Menschen erreicht man nicht über ihre muslimische Identität – aber sie sind eben trotzdem noch Musliminnen und Muslime.

Migranten, die eine Partei wählen, die keine Migration will – ist das nicht zwingend ein Widerspruch?

Das muss kein Widerspruch sein. Aus der Migrationsforschung wissen wir, dass es Generationenunterschiede gibt. Menschen, die vorher eingewandert sind, vertreten später zum Teil migrationsskeptische Positionen, weil sie sagen: Ich musste mir das hart erarbeiten und die, die jetzt nach mir kommen, die kriegen Dinge geschenkt.

Besteht denn nicht die Gefahr, dass die AfD ihre traditionelle Wählerschaft verprellt, wenn sie nun aktiv um die Stimmen von Leuten mit Migrationsgeschichte wirbt?

Hier kommt Social Media ins Spiel. Die neuen Empfehlungsalgorithmen – gerade der von Tiktok – funktionieren eben so, dass diese Botschaft nur den potenziellen migrantischen Wählern und Wählerinnen zugespielt wird. Das heisst, die traditionellen Wähler und Wählerinnen kriegen nicht so viel von dieser migrantischen Ansprache mit. Da ist die AfD mindestens zwei Schritte weiter als die demokratischen Parteien.

Weshalb gelten nicht mehr die SPD oder die Grünen als Parteien, die sich für die Anliegen von Menschen mit Migrationshintergrund einsetzen?

Ich würde gar nicht sagen, dass sie sich nicht für die Anliegen einsetzen. Es geht darum, wie sie es kommunizieren: Sie sind zu träge geworden und nicht mit der Zeit gegangen. Es geht darum, das, was sie für verschiedene migrantische Communitys leisten, auch in die digitale Welt zu kommunizieren, damit es bei den Menschen ankommt. Hier besteht ganz viel Nachholbedarf.

Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.

Echo der Zeit, 18.08.24, 18:00 Uhr ; 

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