Sie fühlen sich übersehen, übergangen und abgehängt im Norden von England. Deshalb haben Premier Boris Johnson und seine Mitstreiter schon im Herbst 2019 ein sogenanntes «Levelling Up»-Progamm versprochen.
Geschehen ist bis heute allerdings wenig bis nichts. Am Mittwoch nimmt die Regierung Johnson einen neuen Anlauf. Am Nachmittag will sie einen umfassenden Plan zur Entwicklung vernachlässigter Regionen vorstellen. Denn in keinem europäischen Land bestimmt die Geografie das wirtschaftliche Gefälle so stark wie in England.
Veränderungen bis 2030 geplant
«Zwischen der Metropole London und dem Norden Englands liegen Welten, was Einkommen, Lebenserwartung, Berufsaussichten, aber auch die Anbindung an den öffentlichen Verkehr betrifft», weiss SRF-Grossbritannienkorrespondent Patrik Wülser. Dieser Graben zwischen den ärmsten und reichsten Teilen Englands soll mit diesem Programm bis 2030 ausgeglichen werden.
Die Menschen in diesen Regionen leben in sozial und wirtschaftlich schwierigen Situationen. Sie sind frustriert. Dieser Frust hat dazu geführt, dass die Menschen dort bei den Wahlen 2019 Boris Johnson gewählt haben – nicht wie sonst üblich Labour.
«Man muss Johnson attestieren, dass er dieses soziale Gefälle, diese Gräben zwischen Norden und Süden realisiert hat und in seinem Wahlkampf 2019 zu einem zentralen Thema gemacht hat – als Konservativer. Damit konnte er den sogenannten Roten Norden überhaupt erobern», sagt der Grossbritannienkorrespondent.
Geliefert hat Johnson allerdings bis heute nicht. Die Pandemie hat dann die Wahlversprechen auf Eis gelegt. «Dafür ist er nicht verantwortlich, aber nun steigt der Druck rasant, dass seine Versprechen eingelöst werden. Sonst droht den Konservativen bei den nächsten Wahlen, dass sie diese Sitze wieder verlieren», so Wülser.
Reine Absichtserklärungen
Nun will Johnson dieses Versprechen einlösen. Soweit bekannt sei, handle es sich nicht um konkrete Projekte. Es würde keine Schule oder Eisenbahnlinie gebaut. «Es sind Zielformulierungen, die vorliegen. Der öffentliche Verkehr soll verbessert werden. Bessere Internetverbindungen, mehr Investitionen in die Berufsbildung und in die Kultur. Auch die Schulausbildung soll besser werden», ist Wülser bekannt.
Das bis zum Jahr 2030 angelegte Programm solle «sowohl das Geld als auch die Macht in die Hände der arbeitenden Bevölkerung» legen, kündigte der britische Minister Michael Gove am Mittwoch im BBC-Interview an.
Allerdings stellt die britische Regierung, wie von Kritikern bemängelt, für diese Pläne kein neues Geld bereit. Stattdessen sollen unter anderem neue Bürgermeisterposten geschaffen werden, die auch neue Befugnisse bekommen sollen.
Johnson kämpft um seine Wählerschaft
Der Zeitpunkt wurde von Johnson wohl nicht ganz zufällig gewählt. «Johnson hat in dieser Woche einen ersten Untersuchungsbericht zu seinen Partyeskapaden mit einem blauen Auge, aber politisch doch ziemlich ramponiert, überlebt. Er versucht sein Publikum mit allen Mitteln zu beruhigen, zu beeindrucken.»
Am Dienstag war er in der Ukraine, äusserte Drohgebären gegenüber Putin. Nun folgt das grosse Förderprogramm für den Norden. Er drohte auch, die BBC-Gebühren abzuschaffen. «Das ist im Sinne der konservativen Partei, aber eben auch Schall und Rauch, um vom Feuer im eigenen Haus abzulenken», schliesst Wülser.