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Loveparade-Prozess «Es wird zäh und Verjährung droht»

Sieben Jahre nach der Massenpanik in Duisburg mit 21 Toten beginnt der Prozess. Eindrücke von Reporter Benjamin Sartory.

Sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier des Veranstalters Lopavent müssen sich ab heute wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung vor Gericht verantworten. Bei dem Unglück am 24. Juli 2010 waren in einem Gedränge am einzigen Zu- und Abgang der Technoparade 21 Menschen im Alter von 17 bis 38 Jahren erdrückt worden. Mindestens 652 wurden verletzt.

SRF News: Der Prozess findet aus Platzgründen nicht in Duisburg, sondern im Düsseldorfer Kongresszentrum statt. Wie gross ist der Andrang?

Benjamin Sartory: Wir haben es hier mit zehn Angeklagten zu tun. Sie kommen mit bis zu drei Anwälten. Dazu gibt es 60 Nebenkläger, also Hinterbliebene der Todesopfer und bei der Love Parade Verletzte mit nochmals 60 Anwälten. Es gibt zusätzlich Platz für insgesamt 300 Zuschauer und Journalisten aus mehreren Ländern. Die Opfer kamen ja neben Deutschland auch aus China, Australien, Spanien und Italien. In Duisburg sind dafür die Säle einfach zu klein.

Warum kommt es erst siebeneinhalb Jahre nach der Katastrophe zum Prozess?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen waren die Ermittlungen ausserordentlich aufwendig. Vor einigen Tagen fuhr in Düsseldorf ein 7,5-Tonnen-Lastwagen mit über 50'000 Seiten mit Ermittlungsakten vor. Das sind über 50'000 Seiten Papier und noch einmal 1000 Anlagen-Ordner. Aber auch tausende von Videoaufnahmen mussten ausgewertet und zahlreiche Zeugen befragt werden.

Zum anderen gab es Probleme in dieser Phase. Die Anklage war an sich nach einigen Jahre bereit. Doch dann prüfte das Landgericht diese Anklage während zweier Jahren und lehnte sie in einem Paukenschlag erst einmal ab, weil ein Gutachten als Beweismittel für mangelhaft befunden wurde. Es gab eine Beschwerde gegen diesen Beschluss. Erst in zweiter Instanz wurde der Prozess zugelassen. Das führte zu dieser langen Zeit zwischen Ereignis und Prozess.

Was wird den zehn Angeklagten vorgeworfen?

Fahrlässige Tötung in 21 Fällen und fahrlässige Körperverletzung wegen über 600 Verletzten. Die Angeklagten sollen die Love Parade fehlerhaft geplant beziehungsweise von der Stadt Duisburg fehlerhaft genehmigt haben. Ein neues, erst ein paar Wochen altes Expertengutachten stützt sich auf eine Computersimulation mit verschiedenen Annahmen. Und wie man es drehte und wendete – bei diesem kombinierten engen Ein- und Ausgang der Love Parade brach die Simulation immer an einer Stelle ab. Und zwar noch vor der Uhrzeit des Unglücks. Es gab also immer irgendwo einen Menschenstau, der sich nicht mehr auflösen liess.

Wie stehen die Chancen, dass es zu Verurteilungen kommt?

Das ist heute nicht absehbar. Aber es wird auf jeden Fall schwierig werden. Es gibt zwei Knackpunkte bei den Verfahren: So passierten vor und während der Love Parade so viele Fehler und Pannen, dass Schuldige für die ursächlichen Fehler und Umstände nur schwer zu finden sind. Dazu kommt die Verjährung. Mitte 2020 werden es zehn Jahre nach der Katastrophe sein. Bis dann müsste das Landgericht Urteile gesprochen haben, ansonsten wären die Vorwürfe verjährt. Das wissen natürlich auch die Verteidiger. Sie haben alle rechtlichen Mittel, den Prozess zu verzögern.

Gewisse Verteidiger sagen auch, es sässen die Falschen auf der Anklagebank. Sie finden, der Polizeieinsatz habe zur Katastrophe geführt. Die Polizei ist jetzt hier aber gar nicht angeklagt. Das alles wird in dem zähen Prozess auf den Tisch kommen. Bisher hat das Landgericht 111 Verhandlungstage bis 2018 angesetzt. Ich gehe fast davon aus, dass das nicht reichen wird.

Was bedeutet es für die Angehörigen, die auch in den Gerichtssaal kommen?

Ein Anwalt von mehreren Hinterbliebenen nannte es bereits die «Katastrophe der Katastrophe». So gibt es zum Beispiel eine Familie, die ihre Nebenklage vor ein paar Wochen zurückgezogen hat, weil sie sich das jetzt nicht mehr antun will. Andere kämpfen seit siebeneinhalb Jahren um diesen Prozess und sind gekommen. Ein Vater eines spanischen Opfers äusserte sich kürzlich total verwundert, dass so etwas in Deutschland überhaupt möglich ist.

Das Gespräch führte Christine Scheidegger.

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