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Machtkampf in Venezuela Das Land der müden Revolutionäre

Zwei Präsidenten, zwei Parlamentspräsidenten: Der Patt in Caracas geht weiter. Doch der Furor der Strasse ist erloschen.

Im Frühling vergangenen Jahres blickte die Welt gebannt nach Venezuela. Nach monatelangen Massenprotesten und Signalen, dass Teile des Militärs zur Opposition überlaufen könnten, probte der selbsternannte Interimspräsident Juan Guaidó den Aufstand. Die Revolution verpuffte.

Mittlerweile ist das erdölreiche Land in Südamerika aus den Schlagzeilen verschwunden. Und auch von westlichen Staatschefs, die sich in grosser Zahl hinter Guaidó gestellt hatten, sind nur noch leise Töne zu vernehmen.

Parlamentswahl wird zur Farce

Auch im Land selbst scheint der revolutionäre Furor erloschen. Am 16. November rief Guaidó die Bevölkerung erneut zum Massenprotest gegen das Regime auf. Vergebens.

Guaido im November
Legende: Guaidó versuchte im Herbst erneut, die Bevölkerung hinter sich zu scharen. Der Aufruf verhallte beinahe ungehört. Lediglich ein paar Hundert Demonstranten verirrten sich auf die Strasse. Keystone

Nun die nächste Volte im Machtkampf: Das Parlament verweigerte Guaidó am Sonntag die Wiederwahl als dessen Präsidenten. Der Haken dabei: Oppositionelle Politiker waren bei der Wahl gar nicht anwesend – die Polizei verwehrte ihnen den Zutritt zum Parlament.

«Im Parlamentsgebäude und ausserhalb kam es zu tumultartigen Szenen», berichtet SRF-Korrespondent Ueli Achermann. Guaidó und 40 Oppositionelle versuchten, ins Parlament zu gelangen. «Schliesslich wurde ein Mann gewählt, der zwar aus den Reihen der Opposition stammt, aber die Seiten gewechselt hat und heute als Vertrauter von Staatschef Nicolás Maduro gilt.»

Die Opposition reagierte prompt. Sie wählte Guaidó im Gebäude der regierungskritischen Zeitung «El Nacional» erneut zum Parlamentspräsidenten.

Zwei Präsidenten, zwei Parlamente

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Legende: Keystone

Die Nationalversammlung ist die einzige Volksvertretung des südamerikanischen Krisenstaates, die bisher in der Hand der Opposition war. Die Opposition hatte die Parlamentswahlen im Dezember 2015 gewonnen. Wenig später entzog aber das der Regierung nahestehende Oberste Gericht der Nationalversammlung die Anerkennung und erklärte alle deren Entscheidungen für ungültig.

Maduro setzte dann 2017 eine ihm ergebene verfassunggebende Versammlung ein, um das Parlament zu umgehen. Guaidó wiederum ernannte sich Anfang 2019 selbst zum Präsidenten. Mehr als 50 Staaten, darunter die USA, erkennen ihn als Staatschef Venezuelas an.

Die Lage in Venezuela wird also immer undurchsichtiger. Maduro und Guaidó betrachten sich nicht nur als legitime Präsidenten des Landes; sie beanspruchen nun auch den Vorsitz der Nationalversammlung für sich und ihre Gefolgschaft.

Kurz- und mittelfristig dürfte es keinen Machtwechsel geben. Die bürgerliche Opposition ist schlicht zu schwach.
Autor: Ueli Achermann SRF-Korrespondent in Südamerika

«Im Augenblick sieht es danach aus, dass Maduro das Parlament wieder unter seine Kontrolle gebracht hat», bilanziert Achermann. Allerdings seien Zweifel angebracht, ob sich das «arg manipulierte» Ergebnis der Wahl aufrechterhalten lasse. Die Spiesse im Machtkampf seien jedoch ungleich lang. Nach dem gescheiterten Putsch sitze Maduro nun wieder fest im Sattel.

Kritik aus dem Ausland

Die Reaktionen aus dem Ausland fielen aus, wie zu erwarten war. Die US-Regierung sprach Guaidó ihre Glückwünsche zum vermeintlichen Wahlerfolg aus. Dieser sei der «legitime Anführer der Nationalversammlung und damit der legitime Übergangspräsident Venezuelas», erklärte US-Aussenminister Mike Pompeo.

Aus der EU gab es kritische Stimmen zur fingierten Wahl; auch die linken Peronisten in Argentinien verurteilten das Geschehen.

Prekäre Wirtschaftslage

Für die Menschen in Venezuela bedeutet der politische Patt vor allem eines: Sie müssen weiter unter prekären Bedingungen leben. Denn «kurz- und mittelfristig dürfte es keinen Machtwechsel geben», prognostiziert Achermann: «Die bürgerliche Opposition ist schlicht zu schwach.»

Zuletzt nahmen auch Venezuelas Erdölexporte wieder zu. Das wiederum bedeutet, dass das Regime etwas mehr Geld zur Verfügung hat. Genug, um den Unmut in der Bevölkerung zu besänftigen?

Kaum, schliesst Achermann. Zwei Drittel der Bevölkerung müssten mit einem Monatslohn von fünf bis sechs Franken durchkommen. Eine Minderheit schlage sich mit Überweisungen geflüchteter Angehöriger aus dem Ausland durch.

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