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Türkischer Einfluss im Kosovo
Aus Tagesschau vom 01.04.2018.
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Machtpoker auf dem Balkan Erdogans Griff nach Kosovo

Es war eine regelrechte Entführung: Ohne Gerichtsbeschluss und ohne Wissen von Ministerpräsident Ramush Haradinaj haben kosovarische Sicherheitskräfte sechs mutmassliche Anhänger der Gülen-Bewegung verhaftet und am Flughafen von Pristina dem türkischen Geheimdienst übergeben.

Offenbar im Wissen von Präsident Hashim Thaçi. Kosovo folgt dem Begehren des türkischen Staatschefs Recep Tayyp Erdogan, der die Gülen-Bewegung für den missglückten Putschversuch im Sommer 2016 verantwortlich macht und seither deren Anhänger auf der ganzen Welt jagt.

Stiller Staatsstreich?

Es ist überraschend, dass Kosovo dem Druck der Türkei nachgibt: Bisher war Pristina klar nach Westen ausgerichtet. Die grossen Verbündeten der kosovarischen Selbständigkeit von Serbien sitzen in Washington.

Und anlässlich der Feierlichkeiten zum zehnjährigen Jahrestag der Unabhängigkeit diesen Februar bekannte sich Hashim Thaçi in einem Interview mit SRF zu Europa: «Kosovo hat nur einen Weg. Es ist der Wille der Bürger unseres Landes. Es ist der Wille der Führung: Die EU-Integration.»

Doch jetzt, nur gut einen Monat später: Kosovo reicht Erdogan die Hand – mit einer klar illegalen, konspirativen Aktion. In Pristina ist von einem Staatsstreich die Rede. Präsident Thaçi habe die ganze Macht an sich gerissen.

Unterdessen hat Ministerpräsident Haradinaj den Innenminister und Geheimdienstchef entlassen, die Mitverschwörer des Präsidenten bei der Entführung der mutmasslichen Gülenisten. Kosovo ist erschüttert – zum zweiten Mal innert Wochenfrist.

Erst Anfang Woche eskalierten nach der Verhaftung des serbischen Kosovo-Beauftragten Marko Djurić die Spannungen mit Belgrad. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić nannte die Regierung in Pristina «eine terroristische Bande». Ein Dammbruch – und das Ende der Normalisierung zwischen Serbien und Kosovo. Mit dem Backup des russischen Präsidenten Wladimir Putin versucht Vučić den Einfluss Belgrads in Kosovo zu maximieren – und wiederholte den nationalistischen Schlachtruf: «Kosovo ist Serbien».

Das Gegenkonzept kommt direkt vom türkischen Präsidenten Erdogan: Bei einem Besuch in der osmanisch geprägten und noch heute teilweise türkisch besiedelten Stadt Prizren im Süden Kosovos 2013 sprach er aus, Kosovo sei die Türkei, und die Türkei sei Kosovo.

Erdogan sieht die Gebiete des ehemaligen osmanischen Reiches als seine Einflusssphäre: In Kosovo genauso wie im nord-syrischen Afrin oder anderswo. Hat sich Präsident Thaçi in der aktuellen Eskalation die Unterstützung von Putin-Konkurrent Erdogan in Ankara geholt? Mit der Übergabe der mutmasslichen Gülenisten an die Türkei? Die Aktion sei schon früher eingefädelt worden, behauptet Kosovo. Alles nur Zufall?

Geopolitische Verwerfungszone

Fest steht: Die starken Männer in Belgrad und Pristina spielen ein brandgefährliches Spiel mit den Grossmächten. Denn der Westen hat es unterlassen, dem Westbalkan eine klare Perspektive zu geben und die schwelenden Konflikte unter Einbezug aller Beteiligten echt und demokratisch legitimiert zu lösen.

Nun wirkt die EU in der gegenwärtigen Krise hilflos – und Washington hat sich vorerst ganz abgemeldet. So treffen hier, ähnlich wie in Syrien, die Interessen Russlands und der Türkei direkt aufeinander.

Die Krise an den Rändern Europas ist damit noch einmal näher gerückt – und findet nun offen auf einer der wichtigsten geopolitischen Verwerfungszonen überhaupt statt: Der Westbalkan ist die Verbindung des Westens mit dem Orient. Er hat eine kulturelle Brückenfunktion, kann aber Ausgangspunkt grösserer Auseinandersetzungen sein – wie 1914, als die Schüsse auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger in Sarajevo den Ersten Weltkrieg auslösten.

So weit ist es längst nicht, aber die Rückkehr zu einem System rivalisierender Grossmachtinteressen ist nicht im Interesse Europas, geschweige denn der Bürger auf dem Westbalkan.

Erdogan droht Haradinaj

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Über Nacht ging die Auseinandersetzung in eine neue Runde: Präsident Erdogan bedroht den kosovarischen Premierminister Ramush Haradinaj, weil dieser den Innenminister und den Geheimdienstchef entlassen hat. Erdogan wirft ihm vor, so die Gülenisten zu schützen: «Du wirst dafür bezahlen, denen, die den Putsch in der Türkei durchgeführt haben, einen sicheren Hafen zu bieten.»

Georg Häsler

Georg Häsler

Militärexperte und Oberst im Heeresstab der Armee

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Georg Häsler ist Militärexperte und arbeitet bei der «Neuen Zürcher Zeitung». Er studierte klassische Philologie. Im Heeresstab der Schweizer Armee ist er Oberst.

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