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Machtspiele in Nordkorea «Aufrüstung deutet auf ein mögliches Kriegsszenario hin»

Der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un hat in einer Rede vor dem Parlament in Pjöngjang betont, eine Vereinigung mit dem südlichen Nachbarland sei nicht mehr möglich, wie die staatlich kontrollierten Medien berichteten. In der Verfassung müssten Ausdrücke wie «Unabhängigkeit, friedliche Wiedervereinigung und grosse nationale Einheit» gestrichen werden. Für den Fall eines Kriegs drohte Kim mit dem Einsatz von Atomwaffen. Der freie Journalist Martin Fritz, der aus der Region Ostasien berichtet, weiss, wie ernst man die Drohungen von Nordkoreas Machthaber nehmen muss.

Martin Fritz

Freier Journalist

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Der Journalist Martin Fritz arbeitete als Radio-Korrespondent für die ARD in Tokio. Als freier Journalist berichtet er nun neben Japan auch über Nord- und Südkorea. Vorher war er fünf Jahre lang Südasien-Korrespondent in Neu-Delhi.

SRF News: Kim Jong-un sagte, er wolle zwar keinen Krieg, er werde aber auch nicht alles daran setzen, ihn zu verhindern. Er hat auch angekündigt, dass er mehrere Organisationen in Nordkorea abschaffen will, die sich bisher mit einer friedlichen Wiedervereinigung mit Südkorea beschäftigt haben. Wie ist diese Ankündigung zu verstehen?

Martin Fritz: Kim Jong-un hatte diesen Politikwechsel schon letztes Jahr angekündigt. Südkorea wird künftig wie jeder andere Staat behandelt und in der Verfassung sogar zum Hauptfeind von Nordkorea erklärt. Damit ist die Entspannung auf der koreanischen Halbinsel erst einmal tot. Eine mögliche Interpretation lautet, dass Kim ausspricht, was bereits der Status quo ist. Die innerkoreanischen Beziehungen sind sehr schlecht. Eine andere Deutung ist aber, dass die Kriegsgefahr nun wächst.

War denn eine friedliche Wiedervereinigung als Ziel dieser Organisationen eigentlich bisher tatsächlich noch ein Ziel?

Bisher folgten Kim und sein Vater Kim Jong-il den drei Prinzipien der nationalen Wiedervereinigung von 1972, die Kim Il-sung, der Staatsgründer und Grossvater des heutigen Machthabers, formulierte. Diese drei Prinzipien lauten Unabhängigkeit, die grosse nationale Einheit der Koreaner und Friedlichkeit.

Kim Jong-un verabschiedet sich nun von diesen drei Prinzipien und verschafft sich die Option, die Einheit auch gewaltsam zu erreichen. Zum Beispiel, indem er Aufstände schürt oder eben einen Krieg führt, um den Süden zu erobern.

Er sagt auch, sein Land wolle keinen Krieg, aber Nordkorea habe auch nicht die Absicht, einen zu verhindern. Wie ist das zu verstehen?

Ein friedlicher Weg zu einer Wiedervereinigung sollte ursprünglich durch eine Konföderation von Nord- und Südkorea erfolgen. Aber Kim ist offensichtlich das Risiko zu gross, dass ihm bei einer Konföderation die Nordkoreaner von der Fahne gehen und sich für Südkorea entscheiden würden.

Die ganze Aufrüstung, die wir in der letzten Zeit gesehen haben, deutet darauf hin, dass sich Kim auf ein Kriegsszenario vorbereitet.

Der Süden wird also zum Feind erklärt und Nordkorea kann sich ungeniert auf eine militärische Eroberung vorbereiten. Seit einiger Zeit spricht Kim ja auch offen davon, dass sein Militär den Einsatz von taktischen Atomwaffen vorbereitet und diese auch auf dem Schlachtfeld einsetzen will.

Ist das ein realistisches Szenario?

Es sieht wirklich danach aus, als ob Kim einen sehr harten Kurs fährt und auch die Aufrüstung, die wir in der letzten Zeit gesehen haben, deutet darauf hin, dass er sich im Prinzip auf ein solches Szenario vorbereitet. Wenn er mit taktischen Atomwaffen gegen Südkorea droht und gleichzeitig die Option hat, die USA mit nuklear bestückten Interkontinentalraketen zu bedrohen, dann werden sich die USA gut überlegen, inwieweit sie Südkorea noch verteidigen werden.

Das Gespräch führte Vera Deragisch.

SRF 4 News, 16.01.2024, 09:00 Uhr ; 

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