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«Made in Tunisia» Wenn italienisches Olivenöl eigentlich aus Nordafrika kommt

Tunesien ist einer der grössten Produzenten von Olivenöl – der Maghrebstaat schafft es aber nicht, daraus richtig Kapital zu schlagen. Stattdessen profitieren europäische Konzerne.

«Gottlob», sagt der Wirtschaftsexperte Khelil Lajimi in Tunis. Die tunesische Landwirtschaft hat schwere Dürrejahre hinter sich. Doch auf die lange Trockenzeit folgten ungewöhnliche Niederschläge. «Die Wasserspeicher sind wieder gut gefüllt».

Auch das Landwirtschafts­ministerium meldet: Tunesien erwarte die beste Getreideernte seit fünf Jahren. Ein ausgezeichneter Olivenherbst dürfte folgen. Bei der absehbaren Ölschwemme werden die Preise dieses Jahr zwar fallen, aber der Ernteertrag wird stimmen.

Öl in Containern statt Flaschen nach Europa

Was nicht stimmt, aus tunesischer Sicht, sind die Absatzkanäle: Vom gewonnenen Öl exportiert Tunesien 90 Prozent in Containern, nicht in Flaschen. Und das allermeiste geht nach Italien und Spanien, also in jene zwei Länder, die selbst massenhaft Olivenöl herstellen. Erst dort wird es abgefüllt.

Der Mehrwert steckt in der Verpackung, nicht im Inhalt.
Autor: Khelil Lajimi Tunesischer Wirtschaftsexperte

Auf der Etikette steht dann beispielsweise der Name einer italienischen Marke. In der Flasche aber ist nicht italienisches, sondern tunesisches Olivenöl – oder ein Verschnitt von beidem. Die europäischen Olivengrossmächte tanken in Tunesien nach, wann immer ihre eigenen Kapazitäten nicht ausreichen, um die Nachfrage zu stillen.

Illegaler Ölverschnitt?

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«Wenn 100 Prozent italienisches Olivenöl draufsteht, dann kann man davon ausgehen, dass auch wirklich italienisches Öl in der Flasche ist», sagt Mario Terrasi, Leiter einer grossen Genossenschaft sizilianischer Ölproduzenten.

Missbrauch könne man allerdings nicht ganz ausschliessen, sagt er. Polizeiliche Kontrollen sollen dies aber unterbinden. Sofern der Verschnitt mit ausseritalienischem Öl korrekt ausgewiesen wird, ist er erlaubt.

Nicht nur aus Tunesien

«In diesem Jahr kostet Olivenöl aus Tunesien etwa gleich viel wie Olivenöl aus Spanien», sagt Terrasi. Deshalb werde von den italienischen Produzenten auch Öl von der Iberischen Halbinsel beigemischt.

Der Vorteil: weniger Schadstoffe. Denn tunesische Bauern dürfen Pestizide verwenden, die in die EU verboten sind.

Der Wirtschaftsexperte Khelil Lajimi beklagt das. Denn: «Der Mehrwert steckt in der Verpackung, nicht im Inhalt.»

Italien und Spanien machen gutes Geld. Und Tunesien macht sich abhängig von der europäischen Konkurrenz, zum schlechteren Preis.

Korruption bremst Innovation

Der kleinste Maghrebstaat könnte mehr für sich herausholen, wenn er das eigene Öl selber abfüllen und vermarkten würde – glaubt auch eine neue Generation von innovativen Olivenbauern. Dafür müsste das tunesische Öl im Ausland jedoch bekannt gemacht und in die Qualitätssicherung investiert werden.

Das aber ist Knochenarbeit auf verschiedensten Ebenen, die der Staat bisher nicht leisten konnte oder wollte. Tunesien setzte auf die Rolle als Zulieferer für den europäischen Markt, auch in der Textil- und Automobilindustrie schuf es so Arbeitsplätze.

So sind beispielsweise schwerfällige Bürokratie, undurchsichtige Regierungsentscheide, Korruption oder die Vormacht von mächtigen Familien in der Wirtschaft weitere Innovationsbremsen. Immerhin verspricht das Landwirtschafts­ministerium, die Abfüllkapazitäten auszubauen, den Zugang zu Krediten zu erleichtern und das tunesische Öl besser zu bewerben.

Klimawandel erfordert Umdenken

Khelil Lajimi begrüsst das und warnt zugleich: «Die meteorologischen Bedingungen sind im Moment zwar günstig, es ändert allerdings nichts am grundsätzlichen Problem: Tunesien verbraucht zu viel Wasser.»

Der Wirtschaftsexperte spricht vom Bau von Meerwasser-Entsalzungsanlagen, aber auch von der Notwendigkeit systematischer Wasserbewirtschaftung – Parzelle für Parzelle: Was kann wo überhaupt noch wie sinnvoll angebaut werden, ohne zu viel Grundwasser zu verbrauchen?

Ums Umdenken werde die tunesische Landwirtschaft so oder so nicht herumkommen.

Echo der Zeit, 21.07.2025, 18 Uhr; flal;stal;noes

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