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Mark Ruttes Rückzug Der Unentbehrliche wird in den Niederlanden entbehrlich

Das Teflon ist ab. Die jüngste Regierungskrise in den Niederlanden ist nicht mehr an Mark Rutte abgeperlt. Zuvor war dies Rutte während fast 13 Jahren als Regierungschef meisterhaft gelungen. Skandale und Regierungskrisen konnte er abschütteln und unbeschadet hinter sich lassen wie kein anderer. Das hatte ihm den Übernamen «Teflon-Mark» eingebracht.

Doch am Freitagabend ist die Regierungskoalition an einem Streit um die künftige Migrationspolitik zerbrochen. Rutte und seine konservative Volkspartei wollten das Asylrecht deutlich verschärfen. Der Familiennachzug für Geflüchtete sollte eingeschränkt werden. Seine Koalitionspartner wollten das nicht unterstützen. Rutte liess – durchaus überraschend – die Koalition platzen.

Viele Beobachterinnen und Beobachter sahen darin zunächst ein politisches Manöver, um sich für Neuwahlen in Stellung zu bringen. Doch nun ist klar, dass diese Neuwahlen ohne Rutte über die Bühne gehen werden.

Bauernbewegung in den Startlöchern

Wie die politische Landschaft in den Niederlanden ohne Rutte aussehen wird, ist offen. Sehr wahrscheinlich ist, dass die neue Bauern-Bürger-Bewegung (BBB) künftig eine gewichtige Rolle spielen wird. Sie ist wegen des innenpolitisch wohl brisantesten Themas in den Niederlanden gross geworden: Vielen Bauernhöfen droht wegen europäischer Umweltauflagen die Schliessung. Seit Jahren schiebt die niederländische Politik – und somit auch Mark Rutte – eine Umsetzung der Auflagen vor sich her und macht das Problem und den Ärger der Bäuerinnen und Bauern so nur noch grösser.

Die BBB setzt vor allem auf Landwirtschaft- und Umweltpolitik. Dort verfolgt sie einen klar rechtskonservativen Kurs. In anderen Themenbereichen ist die Partei weniger einfach zu kategorisieren. Sie könnte aber – sollte sie ihren regionalen Erfolg auf nationaler Ebene bestätigen – neue Optionen für die Koalitionen rechts der Mitte öffnen.

Es zeichnet sich aber bereits ab, dass die Regierungsbildung auch künftig kompliziert werden könnte. Denn Mark Rutte als Regierungschef – das war während 13 Jahren der kleinste gemeinsame Nenner in der niederländischen Politik. Rutte gelang es in den vergangenen Jahren immer wieder in der kleinteiligen niederländischen Parteienlandschaft neue Koalitionen zu schmieden und Kompromisse zu finden. Nun ist dieser gemeinsame Nenner Geschichte. Mark Rutte - der vermeintlich Unentbehrliche - ist in der niederländischen Politik entbehrlich geworden. Die Kompromissfindung dürfte dadurch nicht einfacher werden.

Andreas Reich

EU-Korrespondent

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Andreas Reich ist seit November 2022 TV-Korrespondent von SRF in Brüssel. Zuvor arbeitete der studierte Jurist als Auslandredaktor und Onlineproduzent im SRF-Newsroom in Zürich und berichtete als freier Reporter aus Südosteuropa.

Tagesschau, 10.07.2023, 19:30 Uhr

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