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Vereinigtes Königreich: Baustelle Strafvollzug
Aus Echo der Zeit vom 25.10.2023. Bild: EPA/NEIL HALL
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Maroder Strafvollzug Britische Gefängnisse: zum Bersten voll und nicht mehr sicher

Ein filmreifer Ausbruch aus einer Haftanstalt in London bringt die prekären Bedingungen im Strafvollzug zum Ausdruck.

Der Ausbruch war filmreif. Auf der Unterseite eines Gemüse-Lieferwagens ist unlängst ein Häftling aus der Küche eines Gefängnisses in London ausgebrochen. Nicht irgendein Häftling, sondern ein Ex-Soldat, der der Spionage und der Terroraktivitäten verdächtigt wird. Vier Tage hielt der Mann die Öffentlichkeit in Atem. Heute sitzt er wieder hinter Gittern. Der Ausbruch war kein Geniestück, sondern Ausdruck des maroden britischen Strafvollzugs.

Justizminister Alex Chalk musste im Parlament zerknirscht die Frage beantworten, wie ein solcher Ausbruch habe passieren können. Er habe eine Untersuchung angeordnet, teilte er mit. Doch diese muss man nicht abwarten. Es genügt, den Jahresbericht des britischen Gefängnisinspektorats zu lesen.

Wandsworth-Gefängnis in London
Legende: Aus dem Gefängnis Wandsworth in London ist einem mutmasslichen Spion im September ein filmreifer Ausbruch gelungen. imago/CAT MORLEY

Moral der Angestellten im Keller

 «Am Tag der Inspektion war das Gefängnis stark überfüllt (163 Prozent). Viele Gefangene leben unter schlechten Bedingungen in schmutzigen Zellen. Sie duschen unter erbärmlichen Bedingungen und können ihre Kleidung nur alle zwei Wochen waschen. Die Inspektoren stellten zerbrochene Fenster fest. In der Krankenabteilung waren die Bedingungen inakzeptabel. Es muss zudem mehr Wert auf die Bekämpfung von Ungeziefer gelegt werden.»

Dieser Befund sei nicht verwunderlich, sagt Nick Mann vom «UK Prison Advice & Care Trust». «Jeden Tag fehlen in unseren Gefängnissen 30 bis 40 Prozent des Personals. Die Moral der Gefängnisangestellten ist im Keller. Wenn sie jeden Tag frustriert zur Arbeit gehen, ist Sicherheit in der Küche wohl nicht mehr die oberste Priorität.»

Es muss mehr Wert auf die Bekämpfung von Ungeziefer gelegt werden.
Autor: Aus dem Jahresbericht des britischen Gefängnisinspektorats

Haftstrafen für kleine Delikte 

Im Strafvollzug wurde über Jahre gespart: Die Gebäude stammen teils noch aus viktorianischer Zeit. Mit der Privatisierung von Gefängnissen wurde beim Personal gespart. Gleichzeitig sind sie völlig überbelegt. Nirgends in Europa sind – im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung – so viele Leute inhaftiert. Nicht etwa weil Britinnen und Briten besonders kriminell wären, aber Gefängnisstrafen werden selbst für kleine Delikte wie Ladendiebstähle ausgesprochen.

Oft ist es Nachmittag, bis die Zellen geöffnet werden. Allein aus dem Grund, weil es zu wenig Personal hat.
Autor: Laura Ehemalige Gefängnisinsassin

Mit dem Gefängnisalltag vertraut ist Laura. Die Britin sass wegen Drogendelikten in Haft. Wenn am Morgen die Zelle verschlossen bleibe, werde man unruhig. «Weshalb bleiben wir heute in den Zellen eingeschlossen? Und wie lange soll das so weitergehen? Fünf Minuten? Eine halbe Stunde? Am Ende ist es oft Nachmittag, bis die Zellen geöffnet werden. Allein aus dem Grund, weil es zu wenig Personal hat.» 

Eine sinnvolle Beschäftigung werde nicht angeboten, die Zeit müsse man sich selbst vertreiben.

Gefängnisplätze im Ausland mieten 

70 Prozent der Häftlinge erlebten Gewalt, schreiben die Inspektoren. Viele Gefangene wagten sich deswegen nicht mehr aus ihren Zellen. Wer im Gefängnis ist, verliert nicht nur die Freiheit, sondern meist auch die Wohnung, den Job und die Familie. Daran würden regelmässig Menschen zerbrechen, erzählt Laura.

Der britische Strafvollzug hat seine Grenzen erreicht. Die Gefängnisse sind voll. Allein in Wales und England sitzen gut 88'000 Menschen hinter Gittern. Fast 9000 mehr als deren offizielle Kapazität. Der Justizminister will deshalb Platz schaffen: Strafen bis zu sechs Monate sollen künftig im Zuhause mit Fussfesseln vollzogen werden. Ausländische Häftlinge will der Justizminister in ihre Heimatländer abschieben, und für britische Häftlinge möchte die Regierung Gefängnisplätze im Ausland mieten.

Echo der Zeit, 25.10.2023, 18 Uhr

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