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Massengedränge in Seoul Korrespondent: «Das Sicherheitskonzept war nicht angebracht»

In der südkoreanischen Hauptstadt Seoul ist es am Samstagabend zu einem tödlichen Massenunglück gekommen. In einer engen, abschüssigen Gasse im Ausgehviertel Itaewon kam es zu einem extremen Gedränge. Für die vielen jungen Leute, die dort Halloween feiern wollten, wurde das Gässchen zu einer Falle. Zahlreiche Menschen stürzten, wurden erdrückt und erstickten in der Menschenmasse. Mindesten 154 Menschen kamen dabei ums Leben.

Die genauen Umstände des Massengedränges sind noch unklar. Der südkoreanische Präsident Yoon Suk Yeol ordnete eine gründliche Untersuchung an und rief eine landesweite Trauer aus. SRF-Korrespondent Thomas Stalder schätzt ein, wie es so weit kommen konnte.

Thomas Stalder

Japan-Korrespondent

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Thomas Stalder ist als Korrespondent für SRF in Japan tätig.

SRF News: Was können Sie uns über das Quartier erzählen, wo das Massengedränge entstand?

Thomas Stalder: Im Viertel hat es viele Restaurants, Bars und Geschäfte. Einige Gässchen sind wirklich sehr eng und es geht auch hoch und runter. Das kann in einer Massenpanik zum Problem werden. Leute stolpern eher und der Druck von oben wird erhöht.

Das Quartier ist beliebt bei jungen Menschen, sei es bei Südkoreanern oder auch bei Ausländern, die in Seoul leben oder die Stadt als Touristen besuchen. Unter den Todesopfern sind über zwei Dutzend Ausländer aus verschiedenen Nationen.

Gerade nach den Corona-Restriktionen waren mehr Leute unterwegs als sonst. Haben die Sicherheitskräfte die Situation unterschätzt?

Im Nachhinein muss man sagen: Ja, das Sicherheitskonzept war nicht angebracht. Es war aber auch schwierig, wirklich abzuschätzen, wie viele Menschen an die Halloween-Party kommen würden nach den Restriktionen der letzten Jahre durch die Pandemie.

Das Sicherheitskonzept war nicht angebracht

Die Party ist keine organisierte Veranstaltung. Es ist eine Ansammlung von individuellen Personen, die sich dort frei bewegen und da ist auch Eigenverantwortung gefragt. Besser wäre es vielleicht gewesen, wenn man einige Gässchen abgesperrt oder eine Art Einbahnverkehr eingeführt hätte.

Der südkoreanische Präsident fordert nun eine Untersuchung der Ereignisse. Kann das auch politische Folgen haben?

Ich denke nicht, dass es jetzt auf hoher politischer Ebene zum grossen Köpferollen kommt. Zuerst muss untersucht werden, was die Ursachen waren. Waren es die Sicherheitskonzepte, die versagt haben, oder waren es vielleicht einzelne Personen, die sich falsch verhalten haben; die gedrängt, geschubst haben und es so zur Katastrophe kam?

Falls es neue Sicherheitskonzepte braucht, ist die Frage, wo die angesiedelt werden müssen. Ist es ein Problem des Quartiers, der Stadt oder des Landes? Neue Sicherheitskonzepte bedeuten wahrscheinlich auch Einschränkung von Freiheiten. So kurz nach der Katastrophe gibt es noch viele unbeantwortete Fragen.

Das Gespräch führte Michael Rauchenstein.

Tagesschau, 30.01.2022, 19:30 Uhr ; 

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