Der Friedhof der sizilianischen Stadt Catania ist monumental. Er hat Gräber, so gross wie kleine Einfamilienhäuser und reich verziert – meist mit Engeln. Hinter dem monumentalen Teil des Friedhofs liegt ein Feld mit Gräbern, auf denen nur unscheinbare, kleine Steine stehen.
Hier liegen jene Bewohner Catanias, die sich kein Grab leisten konnten, die Bettler. Und hinter diesem Feld liegt ein weiteres, eines das ganz kahl und staubig ist.
Hier werden seit ein paar Jahren jene meist namenlosen Toten beigesetzt, die im Meer ertrunken sind und an Land gebracht werden. Dort, wo die Erde aufgeschüttet ist, befinden sich ihre Gräber. Auf jedem steht ein dünner Metallstab mit schwarzer Plakette.
Meist steht kein Name drauf, sondern nur drei Nummern. Drei Särge also enthält jedes dieser Gräber. Die Friedhofverwaltung geht sparsam mit dem Platz um, mehrere Hundert ertrunkene Flüchtlinge liegen auf diesem Feld begraben.
Die Beisetzungen organisiert die Stadtverwaltung zusammen mit Keit Abdelhafid, dem Imam der Moschee, die sich im Zentrum von Catania befindet. Nach dem Abendgebet in der Moschee sagt Abdelhafid, meist kenne man die Namen der Toten nicht und wisse auch nicht, welcher Religion sie angehörten. Doch jene, die lebend in Italien ankommen, seien zu 80 Prozent Muslime: «Ob sie praktizierend waren oder nicht, weiss man nicht.»
Trotzdem ist bei jedem der Begräbnisse ein Vertreter der Moschee auf dem Friedhof, um zu beten. «Weil wir nicht wissen, wer im Sarg liegt, ist die Zeremonie stets multireligiös.» Auch ein katholischer Priester sei bei diesen Abdankungen dabei. Das gemeinsame Beten funktioniere gut, sagt der Imam von Catania.
Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR schätzt, dass allein im laufenden Jahr mehr als 2300 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken oder vermisst sind. Nur die wenigsten Toten können tatsächlich geborgen werden. Trotzdem werden in Italien jedes Jahr Hunderte Leichen an Land gebracht.
Weil dies nun schon seit Jahren so ist, kommt es in Italien auch bei den Beerdigungen von Flüchtlingen zu Engpässen: Es gibt zu wenige Plätze auf den Friedhöfen. Es komme mitunter vor, dass die Särge für Monate irgendwo abgestellt werden, bis man einen Platz auf einem Friedhof finde.
Die Toten, die auf Sizilien an Land kommen, werden auf die Gemeinden verteilt. Weil das nur schlecht funktioniere, möchten der Imam von Catania und die muslimische Gemeinschaft das ändern. Sie setzen sich für einen gemeinsamen Friedhof ein, der allen ertrunkenen Flüchtlingen einen Platz bieten könnte: Ein Friedhof für die Märtyrer des Meeres.
Diese Idee habe er dem sizilianischen Regionalpräsidenten vorgeschlagen, bisher aber keine Antwort erhalten, sagt der Imam. Er wird wohl noch oft auf dem staubigen Feld hinter den Gräbern der Bettler beten müssen.