Die Spuren der Katastrophe tauchen ohne Vorwarnung auf. Eben sieht die Landschaft noch unversehrt aus, 100 Meter später ist alles anders – umgeknickte Bäume, in denen Fetzen von Dächern hängen, und ein Trümmerhaufen, der einmal eine Fabrik war.
An der Strassensperre zum Gelände der zerstörten Kerzenfabrik in Mayfield hält eine Frau an, auf dem Rücksitz den kleinen Enkel. «Ich möchte mich nach zwei von meinen Arbeitskolleginnen erkundigen», sagt sie. Sie hat hier gearbeitet – ihre Schicht endete kurz bevor der Tornado das Fabrikgebäude zerlegte. Sie hatte Glück. Zwei ihrer Kolleginnen liegen verletzt im Spital. Und von vielen anderen weiss sie nicht, ob sie überlebt haben. Doch sie wird abgewiesen, das Fabrikgelände ist gesperrt für Rettungsarbeiten. Die Nächte sind kalt, die Zeit eilt.
Die Angestellten der Fabrik haben sich, als die Tornados über die Stadt fegten, in den Schutzraum begeben, Toiletten in der Mitte des Gebäudes. Der besondere Schutz ist, dass sie von einer Backsteinmauer umgeben sind. «Es war die Anweisung, im Fall eines Sturmes dort Schutz zu suchen», sagt die Frau, die nach ihren vermissten Arbeitskolleginnen sucht. Bei einem so massiven Tornado wie jenem von Freitagnacht hat der Schutzraum allerdings komplett versagt.
«Eigentlich mag ich Stürme», sagt Carol Lamb. Aber so etwas wie diese Sturmzelle habe sie noch nie erlebt. Sie wohnt seit Jahrzehnten hier. Tatsächlich sind derart massive Tornados in Kentucky extrem selten – besonders im Winter.
Etwas Ähnliches wie diesen Tornado habe ich noch nie erlebt.
Das sagt auch David Norsworthy: «Ich bin seit 60 Jahren hier, etwas Ähnliches wie diesen Tornado habe ich noch nie erlebt.» Er hämmert etwas auf seinem Dach – oder besser gesagt dort, wo früher sein Dach war. Es ist jetzt in Stücken die Strasse hinunter verteilt – 50'000 Dollar Schaden.
Zum Glück ist er gelernter Bauarbeiter. Jetzt geht es darum, das Haus möglichst rasch zu decken, damit ein nicht noch viel grösserer Schaden entsteht. «Und ich brauche wieder Strom, damit ich arbeiten kann - das ist das Wichtigste!» Ein paar Angehörige der Armee kommen vorbei und bieten ihm Hilfe an.
Das Gefängnis steht noch, im angrenzenden Gerichtsgebäude jedoch sind die Fenster eingeschlagen. Der Kirche fehlt der Spitz und überall hängen Stromleitungen herunter. Mitarbeiter einer Telekommunikationsfirma versuchen, das Netz wieder in Betrieb zu bringen.
Wir sind hier eine enge Gemeinschaft, wir halten zusammen.
Verwaltungsbeamtin Kimberly Gills ist zusammen mit Helferinnen daran, die wichtigsten Dokumente wie Heiratsurkunden und Grundstückdokumente zu sichern, denn Fenster und Rückseite des Gerichts- und Verwaltungsgebäudes sind zerstört.
Eine Frau fragt: «Ich habe Wasser und Kleidung für Leute in Not - Wie kann ich helfen?» Gills verweist sie weiter. «Wir sind hier eine enge Gemeinschaft, wir halten zusammen», sagt sie. Sie habe auch viel Hilfe von anderen Bezirken erhalten.
Die Sonne scheint in Mayfield. Wären nicht ganze Strassenzüge und das Stadtzentrum zerstört, wäre es ein idyllischer Tag. Überall räumen Menschen auf, professionelle sowie private Helfer tauchen auf.
Ein Mann ruft: «Hier gibt es Donuts, Hotdogs, die Maiskolben sind ausgezeichnet!» Man könnte fast vergessen, wie viel Zerstörung und Tote es hier gegeben hat.