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Menschenrechte in Burma «Eintreten für Rohingya wäre Aung Sang Suu Kyis politischer Tod»

Die muslimische Minderheit der Rohingya wird gewaltsam vertrieben und die hochgelobte Friedensnobelpreisträgerin schweigt. Warum?

SRF NEWS: Warum sagt die Friedensnobelpreisträgerin nichts zu der Vertreibung der Rohingya?

Peter Achten: Seit den Wahlen 2015, die Aung Sang Suu Kyi haushoch gewonnen hat, ist sie Realpolitikerin geworden. Ein Eintreten für die Rohingya wäre ihr politischer Tod.

SRF News: Aung Sang Suu Kyis Regierung hat die Berichte über Menschenrechtsverletzungen teilweise als Fake News bezeichnet und Ängste vor islamistischem Terror geschürt. Wirkt diese politische Rhetorik in Burma?

Ja, sie funktioniert sehr gut, trotz der Pressefreiheit, die seit 2012 einigermassen herrscht. Viele Buddhisten glauben das, und sie sind mit fast 90 Prozent die grosse Mehrheit der Einwohner in Burma. Damit wird das offizielle Bild der Regierungspropaganda verstärkt, die behauptet, dass die Rohingya, die in Burma Bengali genannt werden, Terroristen sind. Die Gewalt komme von Muslimen, so lautet eine andere Botschaft. Sie wollten die Islamisierung des buddhistischen Burmas vorantreiben, obwohl die Muslime nur fünf Prozent der Bevölkerung ausmachen. Diese Propaganda wirkt bei der Mehrheit der burmesischen Bevölkerung sehr gut.

Aung San Suu Kyi hat heute nicht mehr die moralische Integrität eines Nelson Mandelas, zum Beispiel.

Es geht um politischen Machterhalt. Was weiss man über Sang Suu Kyi persönliche Haltung gegenüber den Rohingya?

Das ist sehr schwierig zu sagen. Ich denke, sie teilt die Meinung aller buddhistischen Burmesen. Sie schätzt die Rohingya als Einwanderer aus dem ehemaligen Bengalen ein, aus dem heutigen Bangladesch. Sie geht davon aus, dass es viele Terroristen unter ihnen gibt und dass die Rohingya in Burma nichts zu suchen haben. Im Unterschied zu 134 anderen Volksgruppen. Man muss auch noch sagen, dass es kein religiöser Konflikt, sondern ein ethnisch-sozialer Konflikt ist. Dieser ist ja schon während der englischen Kolonialzeit aufgebrochen. Der ganze Konflikt trägt auch rassistische Züge. Es ist interessant, dass man im Burma immer wieder hört, die Burmesen seien die hellhäutigen und die Bengali, das seien die Dunkelhäutigen.

Das Militär hat die Gebiete, in denen die Rohingya leben, abgeriegelt. Die Armee kann unbeobachtet morden, Dörfer niederbrennen und Menschen vertreiben. Sind Aung San Suu Kyi die Hände gebunden, oder könnte sie dem Militär etwas entgegensetzen?

Im Augenblick sind Aung San Suu Kyi ganz sicher die Hände gebunden. Die Militärs sind immer noch die entscheidende Macht. Sie haben die Innensicherheit und die Verteidigung. Sie haben eine Sperrminorität im Parlament, so dass keine Verfassungsänderung zu Stande kommen könnte. Aung San Suu Kyi sind die Hände gebunden, vielleicht bis zur nächsten Wahl im Jahr 2020. Wenn sie nochmals die Wahlen gewinnt, dann könnte es sein, dass sie mehr ausrichten kann, selbst in der Frage der Rohingya.

Die Staatengemeinschaft, vor allem der Westen, ist enttäuscht. Man hat viele Hoffnungen auf Aung San Suu Kyi gesetzt. Es wird sogar gefordert, dass sie den Friedensnobelpreis zurückgeben solle. Kümmert dieser internationale Protest denn überhaupt?

Nein, die sind wirkungslos. Aber ein Friedensnobelpreis-Entzug halte ich für eine schlechte Idee, denn sie hat doch ganz grosse Verdienste für Burma erbracht, für sie persönlich unter einem ganz grossen Risiko. Sie hat nicht mehr die moralische Integrität eines Nelson Mandelas, zum Beispiel. Aber ich denke, Aung San Suu Kyi, die Friedensnobelpreisträgerin von 1991, sollte dem Friedensnobelpreisträger von 1989, dem Dalai-Lama. gut zuhören. Er hat gesagt: Buddha hätte sich für die Rohingya eingesetzt.

Das Schweigen über die Verbrechen an den Rohingya macht Aung Sang Suu Kyi zu einer entzauberten Heldin.

Ja, leider. Das ist auch für mich so, ich verfolge ihren Weg seit 1988. Ich habe auch Interviews mit ihr gemacht. Für mich war sie wirklich eine grosse Ikone der Demokratie. Diese Aura ist jetzt vorbei.

Das Gespräche führte Marlen Oehler.

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