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Midterms im November US-Wahlkampf: Wo der Hass herkommt

In den USA ist der politische Gegner kaum mehr ein legitimer Andersdenkender, sondern ein Feind. Begonnen hat diese Entwicklung vor mehr als 30 Jahren.

Newt Gingrich stand der Erfolg ins Gesicht geschrieben, damals, im Jahr 1994. Eben erst hatten die Republikaner um den sanft wirkenden Mann mit dem rundlichen Gesicht die Mehrheit im Repräsentantenhaus gewonnen. Zum ersten Mal, nachdem sie zuvor 40 Jahre in der Minderheit gewesen waren.

Newt Gingrich zog als Mehrheitsführer der Republikaner in den Kongress, und in der US-Politik war von da an nichts mehr wie zuvor.

Die Scharfmacher um Gingrich

«Wir waren fest davon überzeugt, dass die Republikaner nun schon so lange in der Minderheit waren, dass sie sich bequem darin eingerichtet hatten und keinerlei Antrieb hatten, daran etwas zu ändern.» Bob Walker war damals einer der berüchtigten Wilden rund um Gingrich und einer der schärfsten Scharfmacher im Repräsentantenhaus.

Newt Gingrich winkt einer Menge von Trump-Anhängern zu.
Legende: Newt Gingrich vor einer Menge von Trump-Anhängerinnen und Anhängern. REUTERS/Carlo Allegri

«Die Washington Post übertitelte einmal einen Artikel über mich mit der Frage: Ist Bob Walker der widerlichste Mann im Kongress?» Walker schüttelt sich vor Lachen. «Ich versuchte, nie eine feindselige Sprache zu verwenden. Aber ich machte schon klar, was meine Meinung war.»

Der Mann, der die USA polarisierte

In der republikanischen Partei zirkulierten Merkblätter, wie man sprechen solle, um wie Gingrich zu wirken. Worte wie «Korruption», «Verräter», «krank», «radikal», «Diebstahl» oder «Lüge» sollten so oft wie möglich in Zusammenhang mit dem politischen Gegner benutzt werden. Ein Vokabular, das Einzug in den politischen Diskurs gefunden hat.

Nicole Hemmer ist Historikerin an der Vanderbilt-Universität in der Musik- und Country-Stadt Nashville. «Newt Gingrich sah es als seine Aufgabe, das Land zu entzweien.»

Newt Gingrich sah es als seine Aufgabe, das Land zu entzweien.
Autor: Nicole Hemmer Historikerin

«Gingrich glaubte fest, dass Amerikanerinnen und Amerikaner, die für die Republikaner stimmten, den politischen Gegner hassen müssten. Dass sie die Demokraten nicht nur als legitime Opposition anschauen sollten, sondern als Feind.» Für Nicole Hemmer war das die Quelle, die die politische Diskussion in den USA dauerhaft vergiftete – bis heute.

Ein Ort des Streitens

Einer, der damals ebenfalls Gift in die politische Diskussion geschüttet hatte, ist Vin Weber. Wie Bob Walker gehörte Weber zum engsten Kreis um Gingrich, zur sogenannten «Conservative Opportunity Society».

Unsere Strategie war ein grosser Erfolg. Wir haben immerhin die Mehrheit im Repräsentantenhaus gewonnen.
Autor: Vin Weber Mitglied der «Conservative Opportunity Society»

«Unsere Strategie war ein grosser Erfolg. Wir haben immerhin die Mehrheit im Repräsentantenhaus gewonnen, und das, nachdem wir Republikaner 40 Jahre lang in der Minderheit gewesen waren.» Das wichtigste dabei für Weber: «Wir haben das Repräsentantenhaus wieder in einen Ort verwandelt, an dem gerungen und gestritten wurde.» Man kann Weber nicht widersprechen, wenn er sagt, dies sei unabdingbar für eine Demokratie.

Die Kehrseite der Medaille

Doch Weber fügt von sich aus auch ein «Aber» an: «Es ist unnötig zu sagen, dass diese Medaille auch eine Kehrseite hat.» Weber holt tief Luft: «Wenn nun jede einzelne Wahl eine Wahl des politischen Überlebens ist, dann ist auch jedes einzelne politische Geschäft eines des politischen Überlebens. Denn möglicherweise wird gerade dieses Geschäft einst wahlentscheidend.»

Damit, so Weber, würden zu viele Tätigkeiten des Kongresses politisch aufgeladen. Weber akzeptiert den Vorwurf, dass ihre Rhetorik zur Vergiftung der politischen Diskussion beigetragen hat. Doch auch hier kommt wieder ein «Aber»: «Es ist ein Fehler, dies alles den Politikern anzulasten. Es reflektiert Spaltungen in der gesamten Gesellschaft.»

Pascal Weber

USA-Korrespondent

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Pascal Weber arbeitet seit 1999 für SRF. Als Redaktor und Produzent war er zunächst in der Sportredaktion tätig, danach bei «10vor10». Von 2010 bis 2021 war er als Korrespondent im Nahen Osten. Er lebte zuerst in Tel Aviv, dann lange Jahre in Kairo und Beirut. Nun arbeitet er für SRF in Washington.

SRF 1, 10 vor 10, 10.10.2022, 21:50 Uhr

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