SRF News: Was bedeutet es konkret für Italien, wenn so viele Migranten aus Westafrika Asylgesuche in Italien stellen?
Franco Battel: Schon seit Jahren kommen in Italien die meisten Asylsuchenden aus Nigeria, Guinea, Gambia oder von der Elfenbeinküste. Teilweise können sie auch tatsächlich Asylgründe vorweisen, weil sie beispielsweise aus politischen oder aus religiösen Gründen verfolgt werden. Trotzdem werden diese Asylgesuche mehrheitlich abgelehnt. Das Asylverfahren dauert in der Regel etwa zwei bis drei Jahre. Während dieser Zeit haben die Asylsuchenden in Italien einen legalen Status. Wenn das Asylgesuch dann abgelehnt wird, erhalten sie meist eine Aufforderung zur Ausreise. Weil es aber mit den betroffenen afrikanischen Ländern keine Rückführungsabkommen gibt, ist eine Ausreise aus Italien nur schwer durchzusetzen. Viele der abgewiesenen Asylsuchenden tauchen dann irgendwo unter.
Sie tauchen in die Illegalität ab. Weiss man wie und wovon sie dann leben?
Wenn hier in Italien jemand illegal lebt, bleibt meist auch nur der Zugang zum illegalen Arbeitsmarkt. Der ist ziemlich gross. Im Süden von Italien sind es etwa die vielen Erntehelfer, die ohne Verträge arbeiten. Viele der abgewiesenen Migranten finden dort ein Auskommen. Es gibt aber viele, die betteln oder versuchen als Strassenverkäufer über die Runden zu kommen.
Wie steht es um die Integration dieser Westafrikaner? Werden sie von der italienischen Gesellschaft akzeptiert?
Dass Westafrikaner nach Italien kommen, ist wie gesagt ein Phänomen, das es schon seit Jahren gibt. Es gibt also auch eine gewisse Tradition der Einwanderung und auch der Integration. Etwa in Süditalien, wo viele illegal leben – teilweise unter schlimmen Umständen – kommt es mitunter auch zu Spannungen. Dort hat es teilweise auch schon regelrechte Strassenschlachten gegeben. Migranten haben sich gegen die Ausbeutung und die schlechten Bedingungen gewehrt. Blickt man aber auf das Ganze, insbesondere auf die hohe Zahl der Migranten, muss man sagen, das Zusammenleben funktioniert doch ziemlich gut.
Wie sieht es bei den Migranten aus Bangladesch aus? Auch sie bleiben in Italien. Ist das Zusammenleben mit ihnen einfacher als jenes mit den westafrikanischen Menschen?
Viele der Migranten aus Bangladesch haben zuvor schon während Jahren in Libyen gearbeitet. Sie verlassen Libyen jetzt, weil die Umstände dort immer schwieriger werden. Teilweise ist es gar nicht mehr möglich dort zu arbeiten. Weil sie aber in Libyen bereits in den Arbeitsmarkt integriert waren, beispielsweise in die Industrie oder bei der Öl- und Gasförderung, ist es für sie meist einfach in Italien eine Arbeit zu finden, indem sie an die Arbeitserfahrung in Libyen anknüpfen.
Italiens Aufnahmekapazität ist schon lange erschöpft. Wenn nun immer mehr Asylgesuche gestellt werden, kommt das Land nicht an seine Grenzen oder darüber hinaus?
Bis jetzt hat es Italien geschafft, genügend Plätze zur Verfügung zu stellen – obwohl die Asylzahlen seit Jahren steigen. Es sind sicherlich nicht immer ideale Plätze. Etwa auch, was die unbegleiteten Minderjährigen angeht. Manchmal wird ihnen nur ein Bett angeboten. Keine Betreuung, die diese Jugendlichen nötig hätten.
Unter dem Strich kann man aber sagen, hat es Italien bisher geschafft. Jetzt zeigen sich allerdings immer mehr Ermüdungserscheinungen. Etwa bei den Bürgermeistern, die auf ihrem Terrain Platz schaffen müssen. Da gibt es immer mehr, die sagen: «Wir schaffen es nicht mehr. Wir haben jetzt schon Tausende untergebracht. Jetzt sind unsere Kapazitäten erschöpft.»
Den Bürgermeistern geht es auch darum, dass man den Asylsuchenden nicht nur ein Bett bieten kann. Denn unter den Migranten gibt es auch Kranke. Sie müssen versorgt werden, beispielsweise durch das Gesundheitswesen. Da reichen teilweise die Kapazitäten nicht mehr aus.
Was müsste Italien tun, um diese totale Erschöpfung zu vermeiden?
Italien versucht schon seit Monaten Hilferufe in Richtung Europa abzusetzen. Hier sagen viele: «200’000 Flüchtlinge und Migranten, die dieses Jahr wahrscheinlich nach Italien kommen werden, sind für Italien zu viel. Jedoch für die ganze europäische Gemeinschaft gesehen, wäre das Problem zu bewältigen – wenn man hier einen Schlüssel finden würde.» Das ist die italienische Argumentationslinie. Hoffnung erwartet man sich vor allem aus Brüssel.
Das Gespräch führte Tina Herren.