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Migration nach Europa Menschenschmuggel aus Nigeria im Migrantenstrom

Eine katholische Nonne im nigerianischen Benin City kämpft gegen Menschenhändler. Diese versprechen jungen Nigerianerinnen eine Au-pair-Anstellung in Europa. Dann schleusen sie die Frauen im Migrantenstrom in die europäische Prostitution.

Sie hat Feinde: Die katholische Ordensschwester Bibiana Emenaha geht auf Nummer sicher. Sie hat sich nämlich im Süden Nigerias grosse Feinde gemacht: Menschenschmuggler. Ihr Haus in einer abgelegenen Strasse in Benin City ist mit Stacheldraht gesichert. «Sie drohen mir. Sie rufen mich ständig an. Es gibt viele von ihnen hier», sagt Schwester Bibiana.

«Ein Job für dich»: Ein Plakat beim Eingang zu ihrem Büro erklärt in wenigen Worten, wie es mit den Menschenschmugglern in Nigeria läuft. «Ich habe einen Job für dich» steht in dicken Buchstaben über einem Foto, das einen älteren Mann mit einer attraktiven jungen Frau zeigt. Die beiden stehen vor einem Flugzeug. Unten auf dem Plakat steht: «Vorsicht vor Fremden mit attraktiven Angeboten».

Bei der strengen «Madame»: «Wir nennen sie hier Agenten», sagt Schwester Bibiana. Sie heuern nigerianische Mädchen an für eine sogenannte Madame, eine Zuhälterin in Europa. Die beiden haben ein Abkommen: Die Agenten begleiten das Mädchen von Nigeria bis nach Europa und übergeben es dort. Beauty erinnert sich gut an das Angebot, das ihr damals gemacht wurde: «Ich dachte, einen Job in einem Land der Weissen, dass ist besser, als hier zu leben.» Die Frau schüttelt den Kopf. «Ich wusste aber nicht, dass ich als Prostituierte arbeiten musste.»

In Mailand auf dem Strich: Drei Jahre war Beauty unter der strikten Kontrolle einer Zuhälterin, die sie in Mailand auf den Strich schickte. «Manchmal bezahlen die Freier nicht einmal, sie schlagen dich und werfen dich dann aus dem Auto.» Später wurde sie an einen Mann verkauft. Drei Kinder hat Beauty von ihm bekommen, danach warf er sie aus dem Haus. In Italiens Grossstädten sieht man überall nigerianische Frauen auf dem Strassenstrich. Zwischen 30 und 50 Euro hat Beauty von einem Freier bekommen.

Es kommen immer mehr: Doch die Preise seien heute viel niedriger, weil immer mehr nigerianische Mädchen angekommen sind. Und sie kommen nicht mehr mit Flugzeugen an. Das weiss Miracle. Ihre Reise dauerte Wochen. Die 19-Jährige erzählt, wie sie vor 14 Monaten von ihrer Nachbarin Gloria einen Job in Italien angeboten bekam. «Sie sagte mir, ich würde als Au-pair-Mädchen in Italien arbeiten, Geld verdienen und dann auch noch zur Schule gehen.»

Traumangebot der Schlepper: Für die Minderjährige aus armen Verhältnissen war dies ein Traum-Angebot. Miracles Eltern stimmten zu. Die Nachbarin bot sogar an, die Reisekosten zu bezahlen. Aber es gab kein Flugticket. Gloria und Miracle folgten stattdessen der gut organisierten Migrantenroute von Westafrika nach Europa. Das Mädchen reiste auf Last- und Geländewagen von Nigeria in den Niger, durch die Sahara nach Libyen und dann mit einem Boot nach Lampedusa.

Abgeholt in Lampedusa: «Auf dem Boot hatten alle solchen Hunger und riesige Angst, dass wir sterben könnten.» Im Auffanglager auf der italienischen Insel Lampedusa holte sie dann ein Mann ab. Offizielle Papiere bekam sie nie. Miracle wurde in ein Haus gebracht. Dort gab es natürlich keine Familie und auch keinen Job, nur den Mann. Und der verlangte schon am zweiten Tag Sex. «Ich wollte das nicht und habe ihn vom Bett gestossen. Er hat mich dann geschlagen und zwei Tage lang eingesperrt. Ohne Essen und Wasser.» Und dann musste sie auf den Strich.

Mitschwimmen im Migrantenstrom: Schwester Bibiana sagt, die Zahl der aus Nigeria verschleppten Mädchen sei mit dem Migrantenstrom nach Europa angestiegen. Die Menschenhändler agieren sicher im Schatten der Menschenmengen. Laut Unicef kommen 91 Prozent der Migranten- und Flüchtlingskinder ohne Begleitung eines Erziehungsberechtigten in Italien an. «Vor allem die Mütter bereiten uns grosse Sorgen», sagt Schwester Bibiana. «Mütter schicken ihre Kinder in die Ferne. Sie zwingen sie regelrecht zu gehen.»

Schwester Bibiana erbost das sichtlich. Fast täglich besucht sie nigerianische Familien, deren Töchter Jobangebote bekommen, und warnt vor den Gefahren in Europa. Das ist Teil ihrer Arbeit im Komitee zur Unterstützung der Frauenwürde. «Wir setzen uns für diese Mädchen ein. Wir finanzieren ihre Rückreise, um ihnen ihre Würde zurückzugeben.»

Geächtet: Bei Miracle war es schliesslich ein Freier, der ihr half, zu fliehen. Die Rückkehr ist für sie nicht leicht, denn die jungen Frauen gelten als gescheitert: «Die Menschen glauben mir nicht und sagen, ich hätte mich freiwillig prostituiert. Und sie meiden mich deshalb.» Gesten bekam Miracle eine Nachricht einer Freundin, die gerade in Tripolis, Libyen, angekommen war. «Ich habe ihr geschrieben, nicht auf das Boot zu gehen. «Aber sie will unbedingt nach Italien!» Die junge Frau zuckt mit den Schultern und blickt zu Boden. Zu mehr ist sie nicht in der Lage.

Reportage von Nicole Macheroux-Denault.

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