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Warum kann sich die EU auf keinen Verteilmechanismus einigen?
Aus SRF 4 News aktuell vom 10.07.2019. Bild: Keystone/Archiv
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Migration nach Europa «Osteuropa zeigt keinerlei Bereitschaft, Mechanismen anzunehmen»

Der Streit um die Verteilung der Flüchtlinge in der EU wird so intensiv geführt wie lange nicht mehr. Ein kurzfristiger Verteilmechanismus sei denkbar, aber nur als Teil eines Stufenplans mit einer grundlegenden Reform der Dublin-Regeln zur Zuständigkeit der Asylanträge, sagt Migrationsforscher Jochen Oltmer von der Universität Osnabrück.

Jochen Oltmer

Jochen Oltmer

Historiker

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Jochen Oltmer forscht an der Universität Osnabrück zum Thema Migration. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der deutschen, europäischen und globalen Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart.

SRF News: Warum schafft es die EU nicht, sich auf einen gemeinsamen Verteilschlüssel der Migranten zu einigen?

Jochen Oltmer: Zum einen ist zurzeit noch völlig unklar, wie ein solcher Verteilmechanismus aussehen sollte. Zum anderen hat das Thema Migration/Flucht in vielen europäischen Ländern ein enormes Mobilisierungs- und Empörungspotenzial. Dadurch haben viele Regierungen und Parteien den Eindruck, damit Wahlen gewinnen zu können.

Wo funktionieren diese politischen Parolen zur Migration besonders gut?

Innenpolitische Debatten gibt es in praktisch allen europäischen Staaten. Es geht um nationale Vorstellungen über Geschlossenheit und Homogenität. Ängste vor dem Islam und Terrorismus werden bedient, aber auch vor hohen Sozialleistungen und dem Verlust von Stabilität und Sicherheit. Vor allem Osteuropa zeigt keinerlei Bereitschaft, irgendwelche Mechanismen anzunehmen.

Aus diesen fünf Ländern kommen die meisten Flüchtlinge

Laut Dublin ist das Ankunftsland für das Asylgesuch zuständig. Ist der Ruf nach Reformen bei den Mittelmeer-Anrainern besonders gross?

In der Tat. Umso verwunderlicher, dass in den letzten Tagen relativ wenig über das Dublin-System gesprochen wurde. Denn das wäre bei der Diskussion über einen Verteilmechanismus vordringlich. Offensichtlich haben diverse Akteure ein grosses Interesse, das Dublin-System beizubehalten. Das bringt Ungleichheiten mit sich. Staaten in der Mitte Europas und dabei vor allem Deutschland sind fein raus, weil sie faktisch überhaupt niemanden aufnehmen müssen.

Offensichtlich haben diverse Akteure ein grosses Interesse, das Dublin-System beizubehalten.
Autor: Jochen OltmerMigrationsexperte, Universität Osnabrück

Um die Ankommenden und die Anträge müssen sich vor allem die südeuropäischen Staaten kümmern, die zudem die Folgen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 noch nicht so lange verdaut haben wie etwa Deutschland. Entsprechend sperren sich Staaten wie Italien gegen jede Regelung zu einem Verteilmechanismus und pochen auf grundlegende Reformen. Und das in einer Zeit, wo vergleichsweise wenige Flüchtlinge ankommen.

Zentrum «Mineo» auf Sizilien offiziell geschlossen

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Zentrum «Mineo» auf Sizilien offiziell geschlossen

Auf Sizilien ist das einst grösste Flüchtlings- und Migrantenzentrum Europas offiziell geschlossen worden. Die Anlage in Mineo in der Nähe der Stadt Catania beherbergte zu Spitzenzeiten über 4'100 Personen, zuletzt waren es noch rund 150. Die aktuelle Regierung Italiens aus Lega und populistischer Fünf-Sterne-Bewegung verfolgt eine Politik der Abschottung gegen Migranten. Bei der Schliessung des Lagers versprach der italienische Innenminister Matteo Salvini neue Arbeitsplätze für die Region. In der Anlage waren rund 400 Personen beschäftigt.

Warum setzt sich die Idee von Ankunftszentren in afrikanischen Durchgangsländern nicht durch?

Die Ideen zu solchen Ankunftszentren sind nicht sehr weit gediehen. Es gibt keinen echten Plan. Zudem hat in Nordafrika niemand ein Interesse daran. Und zwar mit Blick auch auf jene, die hängenbleiben, weil sie von Europa keinen Schutzstatus bekommen.

Diese fünf Länder nahmen die meisten Flüchtlinge auf

Der EU-Innenkommissar forderte gestern einen vorläufigen Verteilmechanismus. Ist das mehrheitsfähig?

Angesichts der Widerstände ist nicht davon auszugehen. Allenfalls wird die vielzitierte «Koalition der Willigen» erste Perspektiven für einen solchen Schlüssel aufgleisen. In der aktuellen Diskussion kommt zudem nicht zum Ausdruck, dass ein solcher Verteilmechanismus die Herausforderungen nur sehr begrenzt angeht. Nötig wäre vielmehr ein Stufenplan. Dabei könnte die «Koalition der Willigen» kurzfristig Verteilmechnanismen entwickeln, müsste aber gleichzeitig das Seenotrettungssystem im Mittelmeer anders aufbauen – mit eigenen Seenotrettungseinheiten. Mittelfristig bräuchte es dann eine grundlegende Reform der Dublin-Regeln.

Mittelfristig müssen die Dublin-Regeln grundlegend reformiert werden.
Autor: Jochen OltmerMigrationsforscher, Universität Osnabrück

Das Gespräch führte Hans Ineichen.

Asylantraege Schweiz

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89 Kommentare

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  • Kommentar von Fritz Meier  (FriMe)
    Flüchtling: Person, die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung hat und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht vor Verfolgung nicht dorthin zurückkehren kann.
    Und alle anderen: Flucht vor wirtsch. Elend, dysfunktionalen Staaten etc. Wann endlich werden diese beiden Kateg. unterschieden und ein EU-Einwand'Gesetz verfasst?
  • Kommentar von m. mitulla  (m.mitulla)
    Europa besteht aus Staaten mit sozialen Netzen. Wenn die Grenzen geöffnet werden, werden die sozialen Netze zerstört. Das bedeutet eine Verarmung. Ist doch klar, dass sich alle Staaten mehr oder weniger erfolgreich gegen den hohen Migrationsdruck wehren.
    1. Antwort von Jürg Brauchli  (Rondra)
      Das gilt auch für die UBR!
  • Kommentar von M. Roe  (M. Roe)
    Diese Staaten haben recht, denn sie wurden in der Vergangenheit vor allem von Deutschland (Nazis) +Frankreich beinahe vernichtet. Zudem haben diese Staaten sehr viele "Flüchtlinge" aus der Ukraine aufgenommen. Und Polen will die alten Richter entlassen, weil diese in der Zeit, als Kommunisten Urteile gegen die polnische Bevölkerung aussprachen. Wenn das nicht gerecht und vernünftig ist, gibt es keinen gesunden Menschenverstand mehr in der EU. Die Medien verhindern dass Orban dies veröffentlicht!
    1. Antwort von Florian Kleffel  (Hell Flodo)
      Polen war vor der jetzigen Regierung kein kommunistisches Land. Die jetzige Regierung hebelt die Gewaltentrennung aus, mit dem Ziel politisch motivierter Urteile. Aus der Ukraine kommen keine Flüchtlinge nach Polen, sondern das Land ist auf diese Arbeitskräfte angewiesen. Kurz gesagt: Glauben Sie nicht alles, was irgendwo im Internet verbreitet wird.
    2. Antwort von Claire McQueen  (freedom)
      @Roe, Sie haben völlig recht.
      @Kleffel: In Polen und Ungarn sitzen Richter, die im alten kommunistischen System gross geworden sind. Sie haben immer noch entsprechende Ansichten und Ideologien. Es ist höchste Zeit, dass sie entlassen werden. Glauben Sie auch nicht alles, was Sie in den Mainstream-Medien lesen.
    3. Antwort von Florian Kleffel  (Hell Flodo)
      Die Sowjet-Ideologie passt mir auch nicht. Die Entlassung der Richter ist aber gerade ideologisch motiviert, Ziel ist eine Veränderung der Judikative nach Vorstellungen der Exekutive.
      Die hat dort nichts zu suchen. Ihren Kommentar empfinde ich übrigens als sehr ideologisch.
    4. Antwort von Claire McQueen  (freedom)
      @Keffel: "Ziel ist eine Veränderung der Judikative nach Vorstellungen der Exekutive.
      Die hat dort nichts zu suchen." Genau so sehen das diese Regierungen auch, und wollen endlich solche Richter loswerden. Übrigens, diese Leute haben schon lange die Rentenalte erreicht.
    5. Antwort von Claire McQueen  (freedom)
      @Keffel: ...und es gibt keinen ideologiefreien Kommentar.