Innerhalb von 24 Stunden sind rund 5000 Menschen aus Marokko in die spanische Exklave Ceuta gelangt. ARD-Korrespondent Reinhard Spiegelhauer sagt, wie es möglich war, dass sie die Grenze passieren konnten und was nun mit ihnen geschieht.
SRF News: Noch nie haben so viele Menschen gleichzeitig die Grenze nach Ceuta überquert. Wie kam das zustande?
Reinhard Spiegelhauer: Es ist überraschend, dass das so passiert ist. An der Grenze gibt es einen mehrere Kilometer langen Zaun. Er ist bis zu sechs Meter hoch, in mehreren Staffeln hintereinander. Das heisst, diese Grenze ist sehr stark abgeschirmt. Aber Ceuta ist eine Exklave am Mittelmeer. Es gibt zwei Stellen, wo man übers Meer von einem Strand zum anderen schwimmen kann.
Es geht konkret um die Westsahara.
Die Grenze ist normalerweise stark bewacht, im Wesentlichen auf der marokkanischen Seite. Vor beiden spanischen Exklaven, Ceuta und Melilla, gibt es Zeltstädte mit Zehntausenden von Migrantinnen und Migranten aus anderen Staaten Afrikas oder aus dem Nahen Osten, die nach Europa wollen. Aber: Die Menschen, die nun nach Ceuta gekommen sind, stammen aus Marokko. Denn dort leidet die Bevölkerung auch unter der Coronakrise.
Die Grenzwache schaut offenbar weg. Was ist der Grund dafür?
Marokko möchte damit politischen Druck auf Spanien ausüben. Zum einen geht es um Geld. Die EU zahlt Marokko viele Millionen, damit Marokko hilft, die EU-Aussengrenze an diesen Stellen zu schützen. Und zum anderen geht es um diplomatische Streitigkeiten, konkret um die Westsahara.
Die Westsahara ist eine ehemalige Kolonie Spaniens. Spanien hat diese Kolonie nach dem Ende der Franco-Diktatur verlassen. Seitdem erhebt Marokko Anspruch auf das Gebiet. Damit ist Spanien nicht einverstanden und unterstützt immer wieder die Unabhängigkeitsbestrebungen in der Westsahara. Aktuell wird ein Führer dieser Unabhängigkeitsbewegung in Spanien in einem Spital behandelt. Er ist schwer an Covid-19 erkrankt.
Was will Marokko von Spanien? Es geht wohl kaum um diese eine Person?
Nein, solche Fälle gibt es immer wieder. Der Konflikt um die Westsahara zieht sich schon seit Jahrzehnten hin. Spanien sagt, wir haben unsere Kolonien nicht umsonst geräumt, wir haben sie in die Unabhängigkeit entlassen wollen. Und Marokko sagt, die Westsahara gehört traditionell zu uns.
Da es nicht Flüchtlinge aus dem Nahen Osten oder aus Afrika sind, sondern Marokkaner, wird man sie zurückschicken wollen.
Nun hat Spanien die eigene Grenzwache nach Ceuta geschickt. Kann das Land so verhindern, dass der Ansturm weitergeht?
Das wird schwierig, denn nicht ohne Grund sind normalerweise die marokkanischen Grenzbeamten diejenigen, die die Grenze abschirmen. Allerdings wird Spanien jetzt Soldaten nach Ceuta entsenden. Die Exklave hat 85'000 Einwohner, jetzt sind 5000 Migranten dazugekommen und das Auffanglager hat Platz für 200 Personen.
Was passiert mit diesen 5000 Menschen? Viele von ihnen sollen laut Medienberichten ja minderjährig sein.
Die Rede ist von 1500 Minderjährigen. Die werden zunächst in Spanien bleiben. Der grösste Teil der Menschen wird aufs spanische Festland gebracht werden müssen, weil es für sie keine Infrastruktur in Ceuta gibt. Da es nicht Flüchtlinge aus dem Nahen Osten oder aus Afrika sind, sondern wie erwähnt Marokkaner, wird man sie – wie die spanische Aussenministerin bereits gesagt hat – zurückschicken wollen.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.