Tausende Kinder sind während der argentinischen Militärdiktatur bis 1983 entführt und zur Adoption freigegeben geworden. Die Suche nach diesen Kindern läuft seit Jahren – nur will der argentinische Präsident Javier Milei diese Bemühungen nicht mehr unterstützen. Wie es nun weitergeht, erläutert Südamerika-Korrespondentin Teresa Delgado.
Worum geht es bei der Suche nach entführten Kindern in Argentinien?
Die Grossmütter der Plaza de Mayo, die Wortführerinnen der friedlichen Widerstandsbewegung in Argentinien, bekämpften die Militärdiktatur und setzen sich für die Suche nach Verschwundenen ein. Während der Militärdiktatur wurden in Argentinien zahlreiche Frauen aus politischen Gründen verhaftet – auch Schwangere und Frauen mit Kleinkindern. Viele von ihnen gelten bis heute als vermisst. Die Kinder dieser Frauen wurden oft von Militärfamilien zwangsadoptiert, mit der Idee, die Kinder politisch umzuerziehen. Heute suchen die Grossmütter nach ihren Enkelinnen und Enkeln. Seit der Rückkehr zur Demokratie wurden die Grossmütter dabei vom Staat mit Geldern unterstützt. Diese hat Präsident Javier Milei grösstenteils gestrichen. Deshalb suchen sie nun in Europa Unterstützung.
Wie viele Kinder werden gesucht?
Die Grossmütter suchen aktuell noch über 360 Enkelkinder, 138 wurden gefunden. Das sind heute Erwachsene, also 45- bis 50-Jährige. Es gibt noch viel mehr Fälle. Es wurden nicht nur Babys von Verhafteten in Zwangsadoption gegeben, sondern auch von Frauen mit linkem Gedankengut oder Frauen, die während der Diktatur sozial geächtet wurden: einkommensschwache Frauen, unverheiratete Schwangere, Vergewaltigungsopfer. Ihnen wurde im Spital nach der Geburt gesagt, das Kind sei gestorben. Dann wurden die Babys entführt und in einem Adoptionsnetzwerk verkauft. Dahinter steckte während der Diktatur ein grosses System.
Warum will Milei kein Geld mehr für die Suche nach den Vermissten ausgeben?
Zum einen will Javier Milei sparen; Argentinien steckt immer noch in einer schweren Wirtschaftskrise und ist hoch verschuldet, auch wenn die Inflationsrate langsam sinkt. Zum anderen hat Milei selbst immer wieder gesagt, dass er einen Kulturkampf gegen linke Ideologien austrägt. Während der Diktatur wurden vor allem Personen mit linkem Gedankengut entführt. Das sind Menschen, die Milei wiederholt als Feindbild bezeichnet hat. Er sieht den Staat nicht in einer historischen, politischen Verantwortung gegenüber diesen Bürgerinnen und ihren Kindern. Er findet, der Aufarbeitung sei Genüge getan.
Auch andere Organisationen werden nicht mehr unterstützt. Wie will Argentinien unter Milei mit seiner Vergangenheit umgehen?
Das diskutiert die argentinische Gesellschaft derzeit stark. Am 24. März findet der Tag der Erinnerung statt. An diesem Tag wird an die Gräueltaten der Diktatur erinnert; das ist im Gesetz verankert. Es gibt in ganz Argentinien Erinnerungstafeln, wo zum Beispiel gezeigt wird: In diesem Nationalpark gab es während der Diktatur Massengräber. Das sind wichtige Mahnmale, die helfen sollen, dass sich die Diktatur nicht wiederholt. Viele andere politische Massnahmen basierten bisher auf dem Willen des Staates, Erinnerung, Wahrheit und Gerechtigkeit bei der Aufarbeitung in den Vordergrund zu stellen. Das hat sich mit Milei deutlich geändert. Wenn es auf institutioneller Ebene weniger Forschung und Aufarbeitung gibt, hat das natürlich Folgen für Lehrmittel in den Schulen.