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Militärjunta in Argentinien Suche nach entführten Kindern: Milei streicht Unterstützung

Tausende Kinder sind während der argentinischen Militärdiktatur bis 1983 entführt und zur Adoption freigegeben geworden. Die Suche nach diesen Kindern läuft seit Jahren – nur will der argentinische Präsident Javier Milei diese Bemühungen nicht mehr unterstützen. Wie es nun weitergeht, erläutert Südamerika-Korrespondentin Teresa Delgado.

Teresa Delgado

Südamerika-Korrespondentin

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Teresa Delgado hat an der Universität Freiburg und in den USA Geschichte, Englisch und Spanisch studiert. Seit 2016 ist sie Redaktorin und Produzentin bei Radio SRF. 2021 und 2022 berichtete sie als Auslandredaktorin aus Spanien, Portugal und den USA. Seit 2023 ist sie Südamerika-Korrespondentin mit Sitz in Santiago de Chile.

Worum geht es bei der Suche nach entführten Kindern in Argentinien?

Die Grossmütter der Plaza de Mayo, die Wortführerinnen der friedlichen Widerstandsbewegung in Argentinien, bekämpften die Militärdiktatur und setzen sich für die Suche nach Verschwundenen ein. Während der Militärdiktatur wurden in Argentinien zahlreiche Frauen aus politischen Gründen verhaftet – auch Schwangere und Frauen mit Kleinkindern. Viele von ihnen gelten bis heute als vermisst. Die Kinder dieser Frauen wurden oft von Militärfamilien zwangsadoptiert, mit der Idee, die Kinder politisch umzuerziehen. Heute suchen die Grossmütter nach ihren Enkelinnen und Enkeln. Seit der Rückkehr zur Demokratie wurden die Grossmütter dabei vom Staat mit Geldern unterstützt. Diese hat Präsident Javier Milei grösstenteils gestrichen. Deshalb suchen sie nun in Europa Unterstützung.

Wie viele Kinder werden gesucht?

Die Grossmütter suchen aktuell noch über 360 Enkelkinder, 138 wurden gefunden. Das sind heute Erwachsene, also 45- bis 50-Jährige. Es gibt noch viel mehr Fälle. Es wurden nicht nur Babys von Verhafteten in Zwangsadoption gegeben, sondern auch von Frauen mit linkem Gedankengut oder Frauen, die während der Diktatur sozial geächtet wurden: einkommensschwache Frauen, unverheiratete Schwangere, Vergewaltigungsopfer. Ihnen wurde im Spital nach der Geburt gesagt, das Kind sei gestorben. Dann wurden die Babys entführt und in einem Adoptionsnetzwerk verkauft. Dahinter steckte während der Diktatur ein grosses System.

Dunkelziffer ist sehr hoch

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Rund 20'000 Personen, die während der Diktaturzeit geboren wurden, haben sich in Argentinien in den letzten Jahren bei Menschenrechtsorganisationen gemeldet, weil sie ihre Identität anzweifeln. Die Dunkelziffer ist sehr hoch, weil das für die Frauen und zum Teil auch die Kinder alles sehr schambehaftet ist. Die Abuelitas de la Plaza de Mayo haben 1992 eine Kommission für das Recht auf Identität ins Leben gerufen. Sie betreiben zum Beispiel eine nationale genetische Datenbank, über die Personen ihre biologischen Verwandten finden können – jede argentinische Botschaft hatte deshalb zum Beispiel genetische Testkitts auf Lager. Aber auch diese Datenbank erhält nun keine Gelder mehr. 

Warum will Milei kein Geld mehr für die Suche nach den Vermissten ausgeben?

Zum einen will Javier Milei sparen; Argentinien steckt immer noch in einer schweren Wirtschaftskrise und ist hoch verschuldet, auch wenn die Inflationsrate langsam sinkt. Zum anderen hat Milei selbst immer wieder gesagt, dass er einen Kulturkampf gegen linke Ideologien austrägt. Während der Diktatur wurden vor allem Personen mit linkem Gedankengut entführt. Das sind Menschen, die Milei wiederholt als Feindbild bezeichnet hat. Er sieht den Staat nicht in einer historischen, politischen Verantwortung gegenüber diesen Bürgerinnen und ihren Kindern. Er findet, der Aufarbeitung sei Genüge getan.

So reagiert die argentinische Bevölkerung

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Viele junge Argentinierinnen und Argentinier sind dermassen finanziell unter Druck, dass sie keinen Kopf dafür haben, sich mit der Diktatur zu befassen, die inzwischen auch über 40 Jahre her ist. Das Land hat eine Armutsrate von 40 bis 50 Prozent. Es gibt Menschen, die sagen, dass es mit jeder neuen Generation umso wichtiger wird, dass die Diktatur eben nicht vergessen wird. Andere sind der Meinung, dass Argentinien mit der Wirtschaftskrise wichtigere Probleme hat.

Auch andere Organisationen werden nicht mehr unterstützt. Wie will Argentinien unter Milei mit seiner Vergangenheit umgehen?

Das diskutiert die argentinische Gesellschaft derzeit stark. Am 24. März findet der Tag der Erinnerung statt. An diesem Tag wird an die Gräueltaten der Diktatur erinnert; das ist im Gesetz verankert. Es gibt in ganz Argentinien Erinnerungstafeln, wo zum Beispiel gezeigt wird: In diesem Nationalpark gab es während der Diktatur Massengräber. Das sind wichtige Mahnmale, die helfen sollen, dass sich die Diktatur nicht wiederholt. Viele andere politische Massnahmen basierten bisher auf dem Willen des Staates, Erinnerung, Wahrheit und Gerechtigkeit bei der Aufarbeitung in den Vordergrund zu stellen. Das hat sich mit Milei deutlich geändert. Wenn es auf institutioneller Ebene weniger Forschung und Aufarbeitung gibt, hat das natürlich Folgen für Lehrmittel in den Schulen.

SRF 4 News, 21.05.2025, 6 Uhr ; 

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