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Missbrauchsvorwurf Kirchen- und Justizaffäre überschattet Erzbistum Vaduz

Geht es nach dem Priester Thomas Jäger, ist er unschuldig. In einem öffentlichen Video spricht er von einem «Fehlurteil». Die Vorwürfe würden in eine Zeit von «Hass und Hetze» passen. Der Angriff gehe in Wahrheit «auf unseren Herr, seinen mystischen Leib», verkündet der ehemalige Pfarrer der Gemeinde Ruggell im Fürstentum Liechtenstein.

Gegen den Priester läuft in Liechtenstein ein Verfahren wegen Konsums pornografischer Darstellungen Minderjähriger. 2020 wurde er vom Landgericht zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt. 2021 wurde das Urteil vom Obergericht aufgehoben, weil die Daten über die Zugriffe auf Porno-Webseiten «zu unbestimmt» gewesen seien. Der Verteidiger des Priesters sagt, dass weder vom Gutachter der Landespolizei noch vom Gericht bewiesen werden konnte, wann welche Daten von wem aufgerufen wurden. Ein neuer Prozess muss stattfinden. Für den Priester gilt die Unschuldsvermutung.

Eltern beschuldigen Priester

Ein Verfahren wurde gegen den Priester auch wegen versuchten sexuellen Missbrauchs von Unmündigen eröffnet. Die Eltern eines achtjährigen Mädchens hatten 2019 den Pfarrer von Ruggell angezeigt. «Thomas Jäger hat einen sexuellen Übergriff an unserer Tochter begangen», sagen die Eltern gegenüber der «Rundschau» und kath.ch, dem Online-Medium der katholischen Kirche in der Schweiz.

Die Eltern wollen anonym bleiben und sprechen erstmals mit Journalisten über den Vorfall. Ihre Tochter habe erzählt, der Pfarrer habe sie in die eigene Wohnung mitgenommen, ihr das T-Shirt hochgeschoben und sie im Brustbereich, am Bauch und am Rücken mit einem Gegenstand massiert. Der Priester räumt ein, dem Kind die Pfarrei-Wohnung gezeigt zu haben. Er bestreitet, das Mädchen massiert zu haben. Ein Interview lehnt der Priester über seinen Anwalt ab.

Verfahren eingestellt

Die liechtensteinische Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren wegen Missbrauchs gegen den Pfarrer später aus Beweisgründen ein. Auf Anfrage teilt sie mit: «Es konnte nicht mit der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden, dass der Genannte das achtjährige Mädchen tatsächlich im Brustbereich berührt hatte. Darüber hinaus war die Brust des Mädchens noch nicht entwickelt.» Weiter nimmt die Staatsanwaltschaft dazu nicht Stellung.

Die Begründung sorgt bei den Eltern für Empörung. «Das ist sehr frustrierend. Ist es keine Straftat, ein Mädchen anzufassen, weil sie noch keine entwickelte Brust hat? Ich hätte von der Staatsanwaltschaft mehr Mut erwartet», sagt der Vater des Mädchens. «Ich bin schockiert und wütend», sagt die Mutter.

Auch die Leiterin von Kinderschutz Schweiz, Regula Bernhard, hat kein Verständnis: «Das ist eine absurde Begründung. Es spielt keine Rolle, wie weit der Körper des Kindes entwickelt ist. Eine Grenzverletzung findet bei sexueller Gewalt immer statt.»

Kurz vor der «Rundschau»-Sendung hat sich der Leiter der liechtensteinischen Staatsanwaltschaft bei der Redaktion gemeldet. Jetzt heisst es: Das Verfahren sei «ausschliesslich aus Beweisgründen» eingestellt worden. Die Brust des Mädchens habe dabei überhaupt keine Rolle gespielt.

Kritik an Erzbischof Haas

Priester Thomas Jäger ist suspendiert. Wolfgang Haas, Erzbischof von Vaduz, untersagte ihm im Februar 2020 jegliche seelsorgerische Tätigkeit. Das war fast vier Monate nach der polizeilichen Hausdurchsuchung in der Wohnung des Pfarrers. Es sei von Seite der Kirche zu lange nichts geschehen, kritisieren die Eltern. Die Gemeinde Ruggell hatte dem Pfarrer bereits Ende 2019 verboten, das Schulareal zu betreten und Religionsunterricht zu geben.

Es sei wichtig, dass die Kirche in solchen Fällen schnell reagiere, sagt Nicolas Betticher, Kirchenrechtler und Pfarrer in Bern. «Wenn sich die Indizien erhärten, muss man sofort agieren. Es geht auch darum, anderen Fällen vorzubeugen. Und deshalb ist es wichtig, dass der Bischof schnell eingreift. Ich würde sagen, vier Monate ist eine lange Wartezeit.»

Das Erzbistum Vaduz lehnt ein Interview zum Fall wegen des laufenden Verfahrens ab. Und teilt mit: «Kirchlicherseits wurden und werden alle kanonisch erforderlichen Massnahmen korrekt getroffen.»

«Mein Kampf» auf dem Handy

Box aufklappen Box zuklappen

Auf dem Mobiltelefon des Pfarrers fanden die Ermittler nicht nur pornografische Darstellungen Minderjähriger, sondern auch Hinweise auf eine angeblich rechtsextreme Gesinnung des Besitzers. Insbesondere wurde laut Gerichtsakten auf dem Handy des Priesters das Buch «Mein Kampf» von Adolf Hitler gefunden sowie eine Liste von inländischen Neonazis. Der Priester habe den Besitz dieser Daten unter anderem mit «Studienzwecken» begründet. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren diesbezüglich eingestellt.

Rundschau, 29.06.2022, 20:05 Uhr

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