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Modelle aus dem Webshop Realistische Fantasy: Die 3D-Erklärvideos der israelischen Armee

Grafiker der israelischen Armee produzieren diese Videos mit dem Ziel, militärische Angriffe zu rechtfertigen. Sie verbreiten sich weltweit – übernommen von zahlreichen Social-Media-Kanälen, TV-Sendern und Nachrichtenagenturen. Die 3D-Animationen sind zwar korrekt als «Illustrationen» gekennzeichnet, vermitteln jedoch zugleich den Eindruck von Faktentreue und Authentizität. Sie prägen sich tief ins kollektive Gedächtnis ein.

Neue Recherchen zeigen nun: Viele der dargestellten 3D-Elemente basieren nicht auf geheimdienstlichen Erkenntnissen, sondern stammen aus frei zugänglichen digitalen Modell-Webshops. Solche Modelle werden üblicherweise in Videospielen, Simulationen oder Werbekampagnen eingesetzt. Daraus lässt sich zwar nicht ableiten, ob die angeblichen Kommandozentralen und Waffenlager tatsächlich existierten oder nicht, aber sie zeigen wie versucht wird, die öffentliche Meinung systematisch zu beeinflussen.

Solche Videos wurden auch kurz nach dem israelischen Angriff auf die iranische Atomanlage in Fordo im Juni 2025 publiziert.

Das sagt einer von vier jungen IDF-Soldaten, die in einem Video auf dem IDF-TikTok-Kanal beschreiben, wie sie vom Geheimdienst viele Wochen vor dem israelischen Angriff auf die iranischen Atomanlagen den Auftrag erhalten haben, in 3D-Videos den bevorstehenden Angriff und die angegriffenen Ziele zu visualisieren.

Ihre Videos wurden nur wenige Stunden nach dem Start der «Mission Rising Lion» auf die iranischen Atomanlagen im Juni 2025 veröffentlicht. Sie sehen aus, als hätte das israelische Militär den Angriff in Rekordzeit rekonstruiert, während es in Wirklichkeit nur ein neues, wirkungsvolles Propagandainstrument entwickelt hat.

Die Videos folgen einer einheitlichen Methode und Ästhetik: Sie beginnen oft mit Satellitenbildern und einer Bildsprache, die heute häufig mit OSINT-Recherchen (Open-Source Intelligence) in Verbindung gebracht wird und den Videos sofort ein Gefühl von genauer Information, Glaubwürdigkeit und Objektivität verleiht.

Darauf folgen Übergänge zu 3D-Visualisierungen, die dann mit echten Drohnenaufnahmen von Luftangriffen oder Bombardierungen unterbrochen werden. Die Verschmelzung dieser Elemente vermittelt den Eindruck einer nahtlosen faktischen Kontinuität, obwohl wichtige Komponenten vollständig erfunden und in einigen Fällen eindeutig falsch sind.

Auf TikTok brüsten sich Macherinnen und Macher solcher Videos, wie sie die künstlichen Welten gebaut haben. «Es ging darum, zu beweisen, dass es tatsächlich existiert», sagt eine Soldatin.

Man habe ihnen einfach gesagt, dass es einen Angriff im Iran geben werde, und sie sollten ein Video produzieren, das zeigt, was weshalb angegriffen wurde. «Wir haben viel Material vom Geheimdienst bekommen und dann haben wir dieses ganze Material verarbeitet», sagen die Macher.

Die Videos zum Iran-Angriff gingen innert kürzester Zeit weltweit viral, publiziert von IDF-Kanälen und übernommen von vielen Socialmedia-Kanälen, TV-Stationen und westlichen Nachrichtenagenturen – oft ohne weitere Interpretation oder Kommentar präsentiert, obwohl sie voller Ungenauigkeiten und Erfindungen sind – z. B. The Telegraph, The Daily Mail und Forbes.

Auch die SRF-Tagesschau hat am 23. September 2024 einen kurzen Ausschnitt eines solchen Videos zu einem Angriff im Südlibanon gezeigt.

In einer monatelangen Untersuchung haben SRF und das Recherchekollektiv Viewfinder zusammen mit dem israelischen +972 Magazine analysiert, wie die Pressestelle der israelischen Streitkräfte nach dem 7. Oktober 2023 den Einsatz von 3D-Visualisierungen und Erklärvideos in ihrer öffentlichen Kommunikation intensiviert hat.

Mit diesen Materialien wurde versucht, die Berichterstattung westlicher Medien über umstrittene Operationen der IDF zu beeinflussen. Obwohl sie in der unteren linken Ecke als «Illustrationen» gekennzeichnet sind, werden die 3D-Modelle als mehr oder weniger genaue Visualisierungen der Realität präsentiert.

Wir haben 43 Videos aus den letzten zwei Jahren identifiziert und analysiert. Sie geben vor, Orte darzustellen, wo Waffensysteme in Häusern versteckt sind: Orte, die es aber so nicht gibt.  Sie zeigen angebliche terroristische Nervenzentren unter Spitälern und ausgeklügelte Netzwerke von Tunneln und Waffenanlagen – wo es schwierig ist, die präsentierten Informationen überhaupt zu überprüfen.

Der Fall «Al-Shifa-Krankenhaus»

Ein bemerkenswertes Beispiel sind die 3D-modellierten Räume, die in einer Tunnelillustration unter dem Al-Shifa-Krankenhaus gezeigt werden. Die IDF-Truppen haben das Spital in Gaza wiederholt angegriffen.

Das exakt gleiche Modell des gezeigten mutmasslichen Kommandoraumes unter dem Spital wurde bereits zwei Jahre zuvor in einem Video verwendet, welches damals verdeutlichen sollte, dass sich unter der Tel al Hawa UNRWA-Schule ein Hamas-Bunker verbirgt.

Diese Wiederverwendung deutet darauf hin, dass eher auf generische visuelle Vorlagen zurückgegriffen wird als auf szenenspezifische Geheimdienstinformationen basierende Rekonstruktionen.

Die israelische Armee hat trotz wiederholter Durchsuchung die Existenz einer Kommandozentrale oder eines Tunnelnetzwerks der Hamas unter dem Shifa-Spital letztlich nicht bewiesen.

Missbrauch ziviler Infrastruktur

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Die israelische Armee präsentiert immer wieder Material, das den Missbrauch von Spitälern, Schulen oder Zeltlagern durch die Hamas als Kommandozentralen oder Waffenlager belegen soll. Unabhängig verifizieren lässt sich das nicht, da Israel keine ausländischen Journalistinnen und Journalisten unabhängig aus Gaza berichten lässt und palästinensische Medienschaffende als Hamas-Anhänger einstuft.

Die Hamas wird seit 2007 der Nutzung ziviler Infrastruktur für militärische Zwecke beschuldigt. Tatsächlich hat die Terror-Gruppe im Laufe der Jahre Tausende von Raketen auf Israel abgefeuert, auch aus Wohnquartieren. In allen Israel-Gaza-Kriegen seit 2008 hat Israel mit dieser Begründung öffentliche Gebäude wie Spitäler, Schulen und Moscheen zerstört. Die Beweislage ist jedoch seit Jahren höchst umstritten: Insbesondere humanitäre Organisationen widersprechen den Darstellungen der israelischen Armee.

Klar ist: Keine Kriegspartei ist an der Wahrheit interessiert. Klar ist aber auch das Humanitäre Völkerrecht in Bezug auf zivile Infrastruktur, insbesondere auf Spitäler:  «Krankenhäuser sind aufgrund ihrer lebensrettenden Funktion für Verwundete und Kranke geschützt. Ja, sie können ihren Schutz verlieren, aber das ist kein Freibrief für Angriffe.»

Das hochgerüstete Dorf im Südlibanon

Ortswechsel: Das Video beginnt mit einer Google-Earth-Zoomansicht eines GPS-Standorts im Südlibanon. Gezeigt werden viele 3D-modellierte Gebäude, in denen vom Keller bis unters Dach unzählige Raketen und Geschosse versteckt sind. Vermittelt wird der Eindruck eines von der Hisbollah bis an die Zähne bewaffneten Dorfes im Südlibanon.

Wir haben das gezeigte Dorf gefunden und es besucht – und auch hier zeigen unsere Recherchen: Diesen Strassenzug gibt es in Tat und Wahrheit nicht.

3D-Modelle aus dem Webshop

Die ausführlichen Analysen aller Videos zeigen, dass viele der gezeigten 3D-Elemente offensichtlich nicht auf der Grundlage von Aufklärungsdaten oder geheimen Informationen erstellt werden.

Stattdessen stammen sie aus frei zugänglichen und handelsüblichen digitalen Asset-Paketen zum Thema Militär – vorgefertigte Bibliotheken, die typischerweise in Videospielen, Simulationen oder Werbemedien verwendet werden.

So nutzt die IDF beispielsweise 3D-Assets von Sketchfab – einer öffentlichen Plattform zum Austausch von 3D-Modellen –, darunter Objekte aus einem Scan der Werkstatt der Scottish Boatbuilding School, die vom Scottish Maritime Museum hochgeladen wurden. Eine Werkbank, Schränke und ein Stromkasten werden aus ihrem Kontext herausgelöst und wiederverwendet. Sie wurden definitiv nicht dafür gedacht, zu zeigen, wie ein Atombunker im Iran aussieht.

IDF verweigert Stellungnahme lange

Die 3D-Animationen wurden von einer Presseabteilung des israelischen Militärs erstellt. Mehrfache Anfragen für ein Interview oder eine Stellungnahme lehnten die IDF zweimal ab. Auf diese Publikation hin erreichte uns die folgende Stellungnahme:

Das sagen die IDF

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Behauptungen über Ungenauigkeiten oder die Verwendung „übertriebener“ Elemente entsprechen nicht der Realität und sind schlichtweg unbegründet. Der Einsatz von Visualisierungstools, einschliesslich grafischer Modelle, ist weltweit eine gängige Praxis, um Informationen der Öffentlichkeit zu vermitteln, und beeinträchtigt weder die Glaubwürdigkeit noch die Genauigkeit der übermittelten Botschaften.

Die vom IDF-Sprecher veröffentlichten Videos sollen der Öffentlichkeit die Vorgehensweisen terroristischer Organisationen und deren zynische Ausnutzung der Zivilbevölkerung und ziviler Infrastruktur für Kampfzwecke veranschaulichen.

Alle Inhalte basieren auf verifizierten Informationen aus verschiedenen Quellen.

Wenn dreidimensionale oder animierte Visualisierungen verwendet werden, wird dies deutlich angegeben, und ihr Zweck besteht darin, komplexe Informationen auf klare und zugängliche Weise visuell darzustellen – nicht darin, jedes physische Detail in dem Gebiet exakt nachzubilden.

Darüber hinaus wurden in vielen Fällen, in denen dies möglich war, zusätzliches Bildmaterial vom Boden aus präsentiert, darunter Hunderte von Fotos und Videos, die zeigen, was in den dreidimensionalen oder animierten Darstellungen zu sehen ist.

Die Behauptung, dass die IDF visuelle Darstellungen verwendet, um alle zivilen Infrastrukturen in verschiedenen Kampfgebieten als militärische Standorte darzustellen, ist unzutreffend. Der Zweck dieser Darstellungen besteht darin, eine Realität zu veranschaulichen, die sich vor Ort wiederholt bestätigt hat – dass terroristische Organisationen ihre Ressourcen in solche Infrastrukturen einbetten und unter dem Schutz der Zivilbevölkerung operieren.

Eine geheime Quelle aus dem Umfeld der Videoproduzenten berichtet: «Das Modell wurde von einem Geheimdienstmitarbeiter genehmigt. Es handelt sich nicht um eine vollständige Darstellung, aber wenn Informationen fehlen oder man nicht genau weiss, was dort sein wird, und es soll etwas veranschaulicht werden, dann illustriert man es. (...) Wenn der Kommandant mehr Drehmaschinen hinzufügen möchte – zum Beispiel zur Herstellung von Waffen –, dann fügt man mehr hinzu, damit es mächtiger aussieht.»

Wichtiger Kampf um Bilder

Die Professorin für Digitale Einflussnahme und Wahrnehmung an der Reichman Universität in Israel, Moran Yarchi, beschreibt die IDF-Videos nicht als «Soft Weapon», sondern verteidigt sie als Teil eines umfassenderen Kampfes um Wahrnehmung: «Wir haben es mit einer komplexen Realität zu tun, in der Konflikte nicht nur auf dem militärischen Schlachtfeld ausgetragen werden, sondern wo auch um die Wahrnehmung gekämpft wird. Der Bilderkrieg ist ein wichtiger Teil davon.»

Porträt von Prof. Yarchi in ihrem Büro
Legende: «Der Kampf ums Image ist wichtig»: Professorin Moran Yarchi verteidigt die 3D-Videos der israelischen Armee. srf

Der Militärexperte Roland Popp von der ETH weist darauf hin, dass trotz der propagandistischen Inszenierung bestimmter Inhalte stets auf beiden Seiten wahre Elemente enthalten sind. Klar mache auch die Hamas Propaganda. «Wir haben es hier aber mit dem Staat Israel zu tun, der sich immer noch als Demokratie versteht. Demokratien dürfen das nicht. Selbst mit einer guten Intention dahinter, dürfen sie nicht die eigene Information manipulieren, weil sie dann einfach aufhören, demokratisch zu sein.»

Demokratische Staaten dürfen ihre eigene Information nicht manipulieren.
Autor: Roland Popp Militärexperte ETH

Als «schädlich» beurteilt Elizabeth Breiner die israelischen 3D-Videos: «Israel flutet die Newskanäle mit Bildern, die unsere Bildsprache nachahmen. Das schadet unserer Arbeit», sagt die Programmleiterin von Forensic Architecture. Die Forschungs-Agentur hat diesen forensischen Bilderstil die letzten Jahre gross gemacht. Bei Forensic Architecture geht es darum, Verbrechen von Staaten und ihren Armeen aufzuklären. Israel leiht sich nun diesen Stil für seine Propaganda. «Selbst, wenn bewiesen werden kann, dass diese Animationen falsch sind: wegzumachen aus den Köpfen der Menschen sind die Bilder nicht. Und das macht sie so schädlich.»

Gefährliche Vermischung von Fakten und Fiktion

Die israelische Armee nutzt für ihre Videos eine Bildsprache, die mit der minutiösen Aufklärung von Gewaltverbrechen in Verbindung gebracht wird. Aber während Forensic Architecture transparent mit öffentlich zugänglichen Informationen (OSINT) arbeitet, tut die IDF nur so. Überprüfbar sind die Angaben in ihren Videos nicht. Das mag aus Rücksicht auf Sicherheitsinteressen nachvollziehbar sein, besonders im Krieg. Aber bewusst Verwirrung zu stiften, ist ein klassisches Propagandawerkzeug, das die Unterscheidung von Fakten und Fiktion gefährlich verwischt.

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Recherche: Susanne Brunner (SRF), Nicole Vögele, Jake Charles Rees, Jack Sapoch, Robin Kötzle (Viewfinder).

Storytelling: Roland Specker (Redaktion), Marina Kunz (Design), Fabian Schwander (Frontendentwicklung).

SRF4 News, 08.10.2025, 03:35 Uhr ; 

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