Die EU hat Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau eröffnet. Damit bricht sie mit ihren bisherigen Prinzipien. Die einen Stimmen bescheinigen der EU damit geopolitische Weitsicht. Andere sind irritiert über das Vorgehen. Aleksandra Tomanic, Geschäftsführerin des European Fund of the Balkans in Belgrad, engagiert sich, um Balkanstaaten bei ihrer Annäherung an die EU zu unterstützen.
SRF News: Wie ist es für die Beitrittskandidaten auf dem Westbalkan, wenn sie von der Ukraine und der Moldau quasi rechts überholt werden?
Die Tatsache, dass die Ukraine und Moldau jetzt Beitrittsverhandlungen aufgenommen haben, bedeutet bis auf Symbolpolitik und bis auf diese enorme Freude in diesen Ländern für den Prozess nichts. Montenegro führt seit 2012 Beitrittsverhandlungen. Serbien ist in diesem Prozess seit 2014, Albanien seit dem Sommer letzten Jahres und Nordmazedonien auch. Aber da gibt es ein Aber, weil Nordmazedonien erst gefälligst seine Verfassung ändern soll, denn sonst blockiert Bulgarien. Das einzige Land, das sich eventuell hintergangen fühlen könnte, ist Bosnien-Herzegowina.
Ich befürchte, die EU hat inhaltlich keine Lösungen, wie sie ihre im Grunde genommen dysfunktionale und verfahrene Erweiterungspolitik wieder zu einem der wichtigsten Instrumente ihrer Politik machen kann.
Verletzt die EU mit diesem Vorgehen grundsätzlich ihre Prinzipien?
Die EU hat für den Beitrittsprozess die Kopenhagener Kriterien definiert. Das sind die politischen Kriterien, die wirtschaftlichen, sowie die Übernahme des gemeinsamen rechtlichen Besitzstandes. Bezieht man sich noch auf diese Kriterien oder nicht? Einerseits ist es verständlich, dass man in der jetzigen geopolitischen Lage ein starkes Signal an diese beiden Länder schicken will. Nur wird Symbolpolitik nicht ausreichen. Und ich befürchte, die EU hat inhaltlich keine Lösungen, wie sie ihre im Grunde genommen dysfunktionale und verfahrene Erweiterungspolitik wieder zu einem der wichtigsten Instrumente ihrer Politik machen kann.
Was macht dieser neuste Entscheid mit der Glaubwürdigkeit der EU auf dem Westbalkan?
Leider nicht mehr viel. Die EU hat ihre Glaubwürdigkeit auf dem Westbalkan über die letzten Jahre wissentlich verspielt. Das schlimmste Beispiel ist Nordmazedonien. Die ehemalige jugoslawische Republik wurde erst 30 Jahre lang von ihrem südlichen Nachbarn Griechenland blockiert, hat dann ihren Namen geändert, nennt sich heute Nordmazedonien. Es gab das Versprechen, wenn das geklärt ist, gibt es die lang ersehnten Beitrittsverhandlungen. Dann hat zunächst Frankreich grundlos blockiert, weil es erst eine neue Methodologie der Verhandlungen wollte. Dann ist der nördliche Nachbar von Mazedonien wach geworden und verlangt eine Verfassungsänderung. Nordmazedonien hat sehr viel investiert. Die politische Krise in dem Land ist leider hauptsächlich EU-gemacht. Das sehen auch die anderen Länder in der Region und das ist auch mit ein Grund, warum es im Kosovo-Serbien-Dialog nicht vorangeht.
Die Tatsache, dass der veränderte Zugang zu Russland plötzlich aus Nachbarschaftsländern Erweiterungsländer macht, zeigt die Abwesenheit einer klaren Strategie seitens der EU.
Sie haben von Symbolpolitik gesprochen. Waren Sie enttäuscht, als Sie gehört haben, was die EU bezüglich der Beitritte der Balkanstaaten beschlossen hat?
Nein. Man sollte diese Länder nicht gegeneinander ausspielen. Die Tatsache, dass der veränderte Zugang zu Russland plötzlich aus Nachbarländern Erweiterungsländer macht, zeigt die Abwesenheit einer klaren Strategie seitens der EU. Lange Zeit hat man sich dagegen verwehrt, plötzlich wird man von Russland in diese Richtung getrieben.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.