Der ehemalige italienische Ministerpräsident Mario Monti glaubt nicht daran, dass Silvio Berlusconis Partei gemeinsam mit der Fünfsterne-Bewegung eine Regierung bilden kann. Zudem setzt sich der amtierende Professor der Universität Bocconi im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit für mehr Bildung und einen stärkeren Dialog mit den Unternehmen aus.
SRF News: Mario Monti, am 4. März dieses Jahres wählt Italien bei den Parlamentswahlen eine neue politische Führung. Wie hoch ist Ihrer Ansicht nach die Chance, dass Silvio Berlusconis Partei «Forza Italia» und die Fünfsterne-Bewegung von Beppe Grillo die Wahlen für sich entscheiden daraufhin gemeinsam eine Regierung bilden?
Ich halte dieses Szenario für unwahrscheinlich – dafür sind die beiden Parteien zu unterschiedlich. Silvio Berlusconi darf nach seiner Verurteilung wegen Steuerhinterziehung zwar keine politischen Ämter mehr bekleiden – dennoch hat er in den vergangenen Monaten ein eindrucksvolles politisches Comeback hingelegt. Dasselbe gilt für die «Fünfsterne»-Bewegung von Beppe Grillo. Allerdings wurde die Idee, das italienische Stimmvolk mittels Referendum über den Austritt aus dem Euro abstimmen zu lassen, aufgegeben.
Die Abstimmung über den «Italienix» wäre aber auch schwierig durchzusetzen, zumal die Verfassung kein Referendum in europäischen Fragen erlaubt. Wenn die Populisten die Wahlen gewinnen sollten, müssten sie somit die Verfassung ändern, um ein solches Referendum abhalten zu können. Dennoch sorgt sich Europa um die politische Stabilität in Italien. Zurecht?
Ich denke nicht. Besonders nachdem in Frankreich Emmanuel Macron seine Kontrahentin Marine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen vergangenen Mai ausstechen konnte, haben viele Populisten in Italien Wasser in den Wein der Anti-EU-Gefühle geschüttet. Jetzt sprechen die Populisten nicht mehr über den Euro-Austritt Italiens. Vielmehr ist Silvio Berlusconi, der in der Vergangenheit nicht immer ein Bewunderer der Europäischen Union war, zum grossen Europäer mutiert. Er stellt sich jetzt sogar als derjenige Politiker dar, der den Sieg der Populisten an der Wahlurne verhindern kann.
Darüber hinaus ist auch die Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Matteo Renzi europafreundlicher geworden. Unglücklicherweise werden die Wahlversprechen immer grösser, je näher die Wahl kommt – beispielsweise in Form von höheren Staatsausgaben oder Steuersenkungen. Ich glaube aber nicht, dass sich diese Wahlversprechen umsetzen lassen.
Berlusconi verfügt über eine unglaubliche Lebenskraft.
Sie haben Silvio Berlusconi als Ministerpräsident abgelöst, als Italien in die Schuldenkrise geschlittert ist. Wie seltsam ist es für Sie jetzt zu sehen, dass ausgerechnet ihm ein politisches Comeback gelungen ist?
Ich habe meinen Freunden und Kollegen im Ausland immer gesagt, Silvio Berlusconi niemals zu unterschätzen. Er verfügt über eine unglaubliche Lebenskraft. Berlusconi ist offensichtlich in der Lage in die Seelen einiger Italiener zu blicken und damit zu spielen. Letztlich müssen wir die Bevölkerung fragen, weshalb sie ihm wieder folgen. Wir müssen aber anerkennen, dass Silvio Berlusconi politisch einen sehr professionellen Job macht.
Wie beurteilen Sie derweil die von Ex-Regierungschef Matteo Renzi umgesetzte Arbeitsmarktreform?
Die Arbeitsmarktreform galt der breiten Bevölkerungsschicht, nicht nur der italienischen Jugend. Mit einem höheren Wirtschaftswachstum wird die Jugendarbeitslosigkeit zurückgehen. Doch dafür sind unsere Wachstumsraten im europäischen Vergleich derzeit zu klein.
Die besten Studienabgänger gehen ins Ausland.
Tatsache ist auch, dass wir die Jugendlichen in der Schule mit Fachkompetenzen und Fähigkeiten ausstatten, die auf dem Arbeitsmarkt nicht gefragt sind. Zudem finden die besten Studienabgänger einen Job – allerdings im Ausland. Sie möchten einen Arbeitsplatz haben, wo sie besser ausgebildet werden und Erfahrung im Ausland sammeln können. Wenn dieser Strom auch in die andere Richtung fliesst, wird Italien davon ebenfalls wirtschaftlich profitieren.
Dennoch stellt sich die Frage, wie die italienische Politik den Jugendlichen eine bessere Perspektive bieten kann, damit diese ihre Heimat nicht verlassen müssen.
Wir müssen über Jahre hinweg die Verbindung zwischen den Unternehmen und den Schulen stärken. Austauschprogramme müssen ins Leben gerufen werden, damit erkannt wird, welche Jobs das Land braucht. Darüber hinaus muss Italien die Jugend in den Schulen besser ausbilden – beispielsweise in Sprachen wie Englisch und darin, sich in einer digitalisierten Berufswelt besser zurechtzufinden.
Italien ist das einzige Land in Südeuropa, welches in der Lage war, sich ohne finanzielle Unterstützung von der Schuldenkrise zu erholen.
Eine weitere Möglichkeit die Wirtschaft anzukurbeln, zeigt derzeit US-Präsident Donald Trump vor: Mit der Senkung der Unternehmenssteuer versucht der Republikaner international tätige Unternehmen davon zu überzeugen, ihren Firmensitz in die USA zu verlegen. Die Hoffnung: Auf diese Weise sollen in der Heimat Tausende neue Jobs entstehen. Soll Italien diese Strategie Ihrer Ansicht nach ebenfalls anwenden?
Ja, doch dieser Plan steht im Widerspruch mit der hohen Staatsverschuldung Italiens. Wir müssen diesen Konflikt ansprechen und lösen. Italien ist das einzige Land im südlichen Teil Europas, welches in der Lage war, sich ohne finanzielle Unterstützung von der Schuldenkrise zu erholen oder den Internationalen Währungsfonds um finanzielle Hilfe bitten zu müssen. Überdies hat die Europäische Union Italien in den letzten Monaten für seine Reformanstrengungen gelobt. So konnte Italien das Defizit des italienischen Staatshaushalts in Relation zum Bruttoinlandsprodukt von über 5 Prozent im Jahre 2009 auf rund 2,5 Prozent reduzieren. Dieses Jahr wird das Defizit auf 1,8 Prozent sinken.
Das Gespräch führte Vasilije Mustur.