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Massnahmen gegen Waffengewalt in Baltimore
Aus Rendez-vous vom 10.08.2021. Bild: SRF. Isabelle Jacobi
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Morddelikte in den USA Erstickende Waffen-Gewalt: Unterwegs in einem Viertel Baltimores

Baltimore erlebt eine Gewaltwelle. Opfer sind meist junge Männer. Während dem «Ceasefire» sollen die Waffen aber ruhen. Ein Rundgang in einem Armenviertel, wo man sich sonst zu Fuss nicht auf die Strasse wagt.

«Welcome to Brooklyn» steht auf dem tristen Schild bei der Autobahnausfahrt, das auf einer sonnenverbrannten Rasenfläche steht. In Brooklyn, Baltimore leben 40 Prozent der Familien in Armut. Vernagelte Türen, verwahrloste Gärten, Glasscherben und tote Ratten auf dem Trottoir.

Es ist kein Ort, wo man sich zu Fuss auf die Strasse wagt.

Weisser Pfarrer und drei schwarze Begleitpersonen halten Plakate in den Händen.
Legende: Die meisten Anwohner und Anwohnerinnen meiden den Kontakt mit Aussenstehenden, die Gruppe um Reverend Scott Slater bleibt unter sich. Isabelle Jacobi / SRF

Doch genau das tut Reverend Scott Slater. Der anglikanische Pfarrer führt regelmässig Gruppen durch das Quartier, in Begleitung eines Polizeiwagens.

Leben wirklich Menschen in diesen Häusern, werde er oft gefragt. Und warum ziehen sie nicht weg? «Das ermöglicht mir, über die Rassendiskriminierung zu sprechen, über den Mangel an billigem Wohnraum oder an frischen Lebensmitteln, über die vielen Schichten eklatanter Ungleichheit», sagt Reverend Slater.

Eingang eines Reihenhaus mit Spielsachen im Vorgarten.
Legende: Tatort 700 East Jeffrey Street – hiert strab Shawn Pressley im Dezember 2020. Isabelle Jacobi / SRF

Vor einem Reihenhaus mit verwucherten Vorgarten stoppt der Pfarrer, und die Gruppe beginnt für das Gewaltopfer Shawn Pressley zu beten.

Der Afroamerikaner wurde am 21. Dezember letzten Jahres an genau dieser Stelle erschossen. Dreizehnmal vollzieht die Gruppe das Ritual für Gewaltopfer, alles Afroamerikaner im Alter von 16 bis 33 Jahren. Der etwas makabre Rundgang ist Teil des «Ceasefire»-Wochenendes, einer jährlichen Veranstaltung mit Partys und Aktionen gegen Gewalt.

Erricka Bridgeford mit Schmetterlingsflügel auf dem Rücken.
Legende: Erricka Bridgeford ist die Mit-Gründerin von «Baltimore Ceasefire 365» – eine der wichtigen Gewaltpräventionsgruppen in Baltimore. Isabelle Jacobi / SRF

Die afroamerikanische Aktivistin Erricka Bridgeford ist die Mit-Gründerin von «Baltimore Ceasefire 365». Die Idee sei es, einmal im Jahr die Waffen ruhen zu lassen und stattdessen das Leben zu feiern, sagt sie, huscht davon und verteilt Flyer an junge Männer mit gezeichneten Gesichtern, die auf der Veranda sitzen. Mit ihrem Tüllrock und violetten Flügelchen am Rücken versprüht sie eine paradox wirkende Fröhlichkeit.

Schwarzer Polizist schaut aus einem Auto.
Legende: Der andächtige Quartier-Spaziergang findet unter Polizeischutz statt. «Die Anwohner sind die Opfer eines Verbrechenstourismus», sagt Officer Torres. Isabelle Jacobi / SRF

In Baltimore gibt es seit Jahren Anti-Gewaltprogramme verschiedener Gruppen. Gerade hat die Stadtregierung einen neuen 5-Jahres Plan zur Gewalt-Minderung verabschiedet. Das Ziel: Die Rekord-hohe Mordrate um 15 Prozent zu senken, mittels Polizeireform, Gewaltprävention und Bevölkerungs-Engagement.

Als ich Erricka Bridgeford frage, warum denn trotz allen Bemühungen in Baltimore jährlich rund 300 Menschen in Schiessereien sterben, reagiert sie brüskiert. Das zeige, wie die Medien die falschen Fragen stellen würden. «Wenn man Gewalt als ein Problem der öffentlichen Gesundheit ansähe, als eine Folge der Rassen-Unterdrückung, dann würde man begreifen, weshalb man nicht sofort ein Resultat sehen KANN», sagt Erricka.

«Es ist wichtig den Menschen Hoffnung zu machen und nicht ein Narrativ des Scheiterns zu verbreiten». Seit der bekannten Fernsehserie «The Wire» wird Baltimore das Image einer Mord- und Drogen-Metropole nicht mehr los.

Weisser Mann im Rollstuhl spricht mit Aktivistinnen.
Legende: Dieser weisse Anwohner will diskutieren. Er verlangt mehr Polizisten statt Polizeireform. Das hören die Aktivistinnen nicht gern. Isabelle Jacobi / SRF

Ein Anwohner im Rollstuhl findet Interesse an der Besuchergruppe. «Die Waffengewalt ist schlimm in Baltimore», sagt er, es müsse aufhören. Er ertrage es nicht mehr, immer diese Schiessereien zu hören und zu wissen, es würden Jugendliche erschossen. «Und der Gouverneur und der Bürgermeister unternehmen rein gar nichts. Wir brauchen mehr Polizei auf der Strasse, nicht weniger.»

Eine schwarze junge Frau trägt ein T-Shit mit der Aufschrift: «Wake up. Change the World. Repeat.»..
Legende: Die 19-jährige «Young Elder» mobilisiert gegen die Gewalt, die ihr junges Leben geprägt hat. Isabelle Jacobi / SRF

Eine junge afroamerikanische Frau hat sich bisher diskret im Hintergrund gehalten. «Young Elder» ist eine 19-jährige Rapperin, die weiss, was es heisst, in einem Armenviertel in Baltimore aufzuwachsen. Die Gewalt habe sie beeinträchtigt, sagt sie und berichtet, wie ihr bester Freund in einem Kreuzfeuer umkam. Er sei ein anständiger Typ gewesen, habe keine Drogen genommen.

Warum greifen denn so viele Jugendliche zur Waffe? «Weil sie traumatisiert sind, auf verschiedene Weisen. Wegen der Bedrohung durch Waffengewalt, wegen der rassebedingten Ungleichheit und wegen der Armut. Sie macht die Menschen gewalttätig. Es ist ein Teufelskreis, sagt Young Elder. Sie mobilisiert an Schulen in Baltimore gegen die Gewalt.

Ein zugenageltes Haus mit Sprayereien und Ballonen.
Legende: Ein gängiges Bild auf den Strassen Baltimores: Angehörige erweisen Gewaltopfern die letzte Ehre – die leeren Flaschen lassen sie zur Erinnerung stehen. Isabelle Jacobi / SRF

Vor einer kleinen Hütte wehen goldene Ballone im Wind, daneben stehen leere Wein- und Vodkaflaschen. «Rest In Peace» hat jemand auf die mit Brettern verrammelte Tür gesprayt. Ruhe in Frieden. Hier starb Keyon Rogers, am 10. April. Er wurde 23 Jahre alt.

Rendez-vous, 10.8.2021, 12:30 Uhr

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