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Nach 319 Jahren Die «Wiener Zeitung» könnte bald keine Zeitung mehr sein

Die «Wiener Zeitung» ist die älteste Zeitung der Welt, die ohne Unterbruch erscheint. Nun steht sie nach 319 Jahren wegen eines EU-Entscheids vor dem Aus. Sie gilt nämlich nicht mehr als Amtsblatt Österreichs und verliert damit eine wichtige Einnahmequelle. Die österreichische Regierung hat einen Plan zur Rettung, doch diesen sieht Medienforscher Matthias Karmasin kritisch.

Matthias Karmasin

Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung in Klagenfurt

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Matthias Karmasin ist Professor an der Akademie der Wissenschaften in Klagenfurt. Er führt dort das Institut für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung. Karmasin ist zudem Vorstandsmitglied beim österreichischen Presseclub Concordia.

SRF News: Matthias Karmasin, warum wäre diese Rettung der «Wiener Zeitung» problematisch?

Matthias Karmasin: Die Gesetzesänderung sieht kein Erscheinen als gedruckte Tageszeitung mehr vor. Die Pläne sehen eine journalistische Aus- und Weiterbildung vor, dazu eine «Content Agentur» für den Bund und unter Umständen auch ein zehnmal erscheinendes Monatsmagazin. Aber die Existenz als täglich erscheinende Qualitäts-Tageszeitung wäre gemäss dem Entwurf Geschichte.

Diese neue Definition der ‹Wiener Zeitung› ist nicht der Kern einer Tageszeitung.

Die Rettungspläne der Regierung stossen deshalb auf Widerstand aus Kunst, Kultur und Politik?

Der Gesetzesentwurf sieht eben nicht die Existenz als unabhängiges Medium mit öffentlichem Charakter vor. Der Kern sieht die Einrichtung einer elektronischen Verlautbarungs- und Informationsplattform des Bundes und die Einrichtung einer staatlich kontrollierten Aus- und Fortbildung von Journalistinnen vor.

Diese neue Definition der «Wiener Zeitung» ist nicht der Kern einer Tageszeitung. Zumal würden die Auszubildenden auch – wörtlich zitiert – «Content- und Agenturleistungen für den Bund und Unternehmen des Bundes» erbringen. Der Gesetzesvorschlag verwendet also lediglich die Marke der Zeitung.

Zeitungsständer in Wien.
Legende: Die erste Ausgabe der «Wiener Zeitung» erschien am 8. August 1703. Noch stehen in Wien Zeitungsständer. Wie es konkret mit der Zeitung weitergeht, muss nun das österreichische Parlament entscheiden. IMAGO / photosteinmaurer.com

Aber die Zeitung gehörte ja schon bis jetzt der Republik, also der Regierung – dennoch galt sie als unabhängig?

Das Problem ist die Verstaatlichung der Journalismusausbildung. Das im Gesetz vorgesehene Budget von sechs Millionen Euro ist höher als die Budgets aller bestehenden privaten Ausbildungsinitiativen zusammen. Die Ausbildung würde direkt unter die Kontrolle einer GmbH in direkter Weisungslinie des Bundeskanzleramts gebracht.

Der Nachweis pädagogischer Kompetenz, didaktischer Konzepte, Bedarfsanalysen von wissenschaftlicher Anbindung, Qualitätskontrolle oder Zertifizierung wären nicht vorgesehen, wie bei allen anderen Journalismusausbildungen in Österreich. Der Presseclub Concordia findet «diesen autokratischen Ansatz für eine Demokratie völlig unakzeptabel», wie es in einer Stellungnahme heisst.

In der geplanten Form wäre die ‹Wiener Zeitung› wirklich nur eine Hülle ohne viel Substanz.

Sie gehören diesem Presseclub Concordia an, der den Gesetzesentwurf kritisiert.

Der hier vorgeschlagene Weg geht den Umweg einer Content Agentur – sprich PR-Agentur – und einer journalistischen Aus- und Weiterbildung. Die angehenden Journalisten und Journalistinnen wären in dieser Agentur eingebunden. Der jetzige Geschäftsführer meinte zur Frage der unzulässigen Vermischung von PR und journalistischer Arbeit, die Journalisten und Journalistinnen wären schon klug genug zu wissen, für wen sie arbeiten, wenn sie etwas schreiben. Aber PR ist nicht Journalismus und Journalismus ist nicht PR, das muss man trennen.

Wäre die «Wiener Zeitung» in der jetzigen Form zu retten gewesen?

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Matthias Karasin findet, die Suche für eine Lösung sei von Seiten Regierung halbherzig durchgeführt worden:

«Man muss konstatieren, dass die Suche nach alternativen Eigentümern und nach Konsortien, die die ‹Wiener Zeitung› als gedruckte Zeitung übernehmen würden, nicht sehr intensiv gewesen ist. Die Regierung behauptet, es hätte sich niemand gemeldet mit einem konkreten Angebot. Das kann ich durchaus nachvollziehen. Aber ich kann auch keinen Bieterprozess erkennen, wo um Konzepte gebeten wurde, wer sich denn melden könnte, um die ‹Wiener Zeitung› in dieser Form weiterzuführen.»

Zudem meinte die Regierung, sie würde die Marke «Wiener Zeitung» ungern aus der Hand geben und diese weiterführen. Aber in dieser Form wäre das wirklich nur eine Hülle ohne viel Substanz. Und das angesichts einer Debatte in Österreich um Inserate- und Medienkorruption und politische Einflussnahme auf die Medien. Mein Urteil – auch wenn es scharf klingen mag – ist, dass dieser Gesetzesvorschlag Symptom jener Krankheit ist, für deren Therapie er sich hält.

Das Gespräch führte Yves Kilchör.

SRF 4 News, 30.11.2022, 07:45 Uhr ; 

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