Das Herz der britischen Finanzwelt scheint fast stillzustehen. Leere Strassen, wo London früher pulsierte. Obwohl das Bild mehr der Pandemie geschuldet ist als dem Brexit, ist die Stadt seit dem britischen Alleingang nicht mehr dieselbe. 14 Prozent der Vermögenswerte sind in die EU abgeflossen – rund 1.5 Billionen Franken. Vier Prozent der Arbeitsplätze sind verschwunden.
Der Alleingang könne aber auch eine Chance sein, betont Justin Urquhart Stewart. Der pensionierte Broker und Investmentbanker gilt als profunder Kenner der Londoner City. «Die EU ist in vielerlei Hinsicht träge und reagiert zu langsam auf Veränderungen, weil sie bürokratisch geführt wird. London hat jetzt den Vorteil, flinker agieren zu können.» Dafür brauche es aber die richtigen Ideen, die richtigen Leute und frisches Kapital. Konkret müsse London sich als gutes Pflaster für Fintech-Unternehmen etablieren und Finanzinnovationen, wie Banking-Lösungen auf dem Smartphone, weiter fördern.
Gang an die Börse erleichtern
London ist diesbezüglich bereits gut aufgestellt. Fintechs, meist Startups, profitierten im vergangenen Jahr von Investitionen in der Höhe von vier Milliarden Franken. Damit belegt die Finanzmetropole weltweit einen Spitzenplatz. Nun gelte es nachzulegen, sagt der Ökonom Simon French der Investmentbank Panmure Gordon. «Wir beobachten, dass sich Fintech-Unternehmen in London niederlassen und gerne an die Börse möchten. London kann jetzt nach Brexit beweisen, dass es die Börsen-Regulierung einfacher gestaltet für neue Fintechs, wie Deliveroo oder Revolut.»
Zwischen Flexibilisierung und Deregulierung
Es stellt sich die Frage, ob dies möglich ist, ohne Standards und Kontrollen im Bereich Geldwäscherei zu vernachlässigen und die Beziehung zur EU zu verschlechtern.
Sarah Hall, Professorin für Finanzgeografie an der Universität Nottingham, sieht zwar die Logik hinter den Plänen, welche von den britischen Behörden forciert werden. «Der britische Finanzplatz soll für den Weltmarkt zugänglicher werden, und zwar durch ein flexibleres Regelwerk. Aber es wird eine Gratwanderung, denn ab wann ist es nicht mehr nur Flexibilisierung, sondern Deregulierung.» Eine Lösung könnte sein, ähnliche Standards wie die EU anzupeilen, aber den Weg zu deren Einhaltung flexibel zu gestalten, indem etwa die Aufsicht unabhängigen Instanzen übertragen und Prüfberichte weniger oft und weniger detailliert eingefordert werden. Ziel müsse es sein, rechtlich solide zu bleiben, aber mit weniger Aufwand.
Schulterschluss mit der Schweiz
Solche Regulierungsansätze sind auch der Schweiz nicht fremd. Die Grossbanken Credit Suisse und UBS könnten sich zudem einen Ausbau in London vorstellen, denn eine Annäherung zwischen Grossbritannien und der Schweiz ist nach dem Brexit greifbar, betont Justin Urquhart Stewart. «Die Schweiz hat einen effizienten Finanzplatz, aber es fehlt ihm Grösse. London bietet Grösse, hat aber Geschäfte verloren. Von einer Zusammenarbeit profitieren beide. Und: Es stärkt ihre Position gegenüber der EU.».
Ob einfachere Börsenregulierung oder Schulterschluss mit der Schweiz – der noch immer zweitgrösste Finanzplatz der Welt muss sich bewegen. Nur so hat London eine Chance, sich nach dem Brexit längerfristig an der Spitze halten zu können. Insbesondere die Konkurrenz aus Asien schläft nicht.