In der Türkei ist es erneut nach einem Fussballspiel zu wüsten Szenen gekommen. Nach dem Abpfiff zwischen Fenerbahce und Trabzonspor stürmten Fans das Feld und lieferten sich handgreifliche Auseinandersetzungen mit Spielern.
Schon im Dezember wurde ein Schiedsrichter nach dem Spiel mit einem Faustschlag niedergestreckt. Damals war nicht ein Fan, sondern ein Clubpräsident der Täter. Die Türkei-Korrespondentin der ARD ordnet die Situation ein.
SRF News: Fans, die sich mit Spieler prügeln, ein Präsident, der einen Schiedsrichter per Faustschlag niederstreckt: Warum artet es in türkischen Fussballstadien immer mal wieder aus?
Karin Senz: Im Fussball hören wir ja immer wieder von Gewalt in den Stadien – so auch in der Türkei. Auf Videos zum jüngsten Vorfall in Trabzon sieht man, wie ein Fan aufs Spielfeld rennt und von einem Fenerbahce-Spieler konfrontiert wird. Da fragt man sich schon: Wo ist das Sicherheitspersonal? Es gibt inzwischen Berichte, dass auch ein Messer im Spiel gewesen sein soll.
Wir hören jetzt von allen Seiten, dass Strafen angekündigt werden. Man hört aber auch Kritik, dass die Konsequenzen für ähnliche Vorfälle in der Vergangenheit nicht heftig genug waren. Mehrere Fussballexperten sagen mir: ‹Wir haben ein grundsätzliches Problem mit Gerechtigkeit und mit der Justiz in der Türkei.›
Woher kommt diese Gewalt im türkischen Fussball?
Das geht sehr weit zurück. Historisch hat sich das vor allem in Istanbul zwischen den drei Traditionsvereinen Fenerbahce, Galatasaray und Besiktas abgespielt. Da kam es in der Vergangenheit immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Fans innerhalb und ausserhalb des Stadions.
Ich glaube, was man wirklich auch einfach mal fragen muss, ist: Warum gibt es eigentlich keine Fanprojekte in der Türkei? Diese Frage kann einem keiner der Fussballexperten beantworten. Offensichtlich gibt es in dieser Richtung in der Türkei bis jetzt kein erwähnenswertes Projekt.
Der türkische Fussballverband verurteilt die Auseinandersetzungen als «inakzeptabel» und kündigte harte Strafen an. Welche Konsequenzen sind zu erwarten?
Die türkischen Fussballexperten zeigen sich da sehr skeptisch. Denn das ganze Thema hat auch eine stark politische Komponente: Es gibt ein Justizproblem in der Türkei. Und das zieht sich – so sagen es die Experten – eben auch bis in den Fussball hinein.
Bis zur EM 2032 sollte der türkische Fussball das Problem mit der Gewalt in den Stadien in den Griff bekommen.
Ende Monat finden in der Türkei Kommunalwahlen statt. Da brauchen die Parteien jede Wählerstimme. Trabzon ist beispielsweise absolutes AKP-Gebiet – sprich der Partei von Präsident Erdogan. Man möchte es sich wohl, so die Experten, nicht mit den Fans verscherzen.
Wie gross ist denn die politische Dimension des Fussballs in der Türkei?
In diesem Zusammenhang fällt immer wieder der Name von Staatspräsident Erdogans Lieblingsverein: Basaksehir Istanbul. Allerdings ist es so, dass, als beispielsweise Trabzon Meister wurde, sich auch der Istanbuler Bürgermeister Imamoglu in Trabzon mit dem Verein hat feiern lassen. Und er ist von der Oppositionspartei CHP.
Gewalt im türkischen Fussball
Der Fussball hat sicherlich eine sehr grosse politische Dimension. Aber ich würde es eher von der Warte aus sehen, dass man es sich mit den Fussballfans nicht verscherzen möchte.
Wie geht es jetzt weiter?
Ich glaube, dass der türkische Fussballverband und auch das Innenministerium einen gewissen Druck erfahren wird. Denn wir dürfen nicht vergessen: Die Türkei ist bei der Europameisterschaft im Sommer dabei. Da kommen solche Bilder nicht besonders gut gelegen.
2032 soll zudem die Fussball-Europameisterschaft in Italien und in der Türkei ausgetragen werden. Ich denke, spätestens bis dann sollten die Vereine und der türkische Fussballverband das Problem mit der Gewalt in den Stadien in den Griff bekommen.
Das Gespräch führte Tim Eggimann.