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Nach Gerichtsurteil in Indien Die Dalits sind wütend

Offiziell gibt es sie nicht mehr, diskriminiert werden sie noch immer: Die «Unberührbaren» bangen um ihr Schutzgesetz.

Was ist geschehen? Bei Protesten von Angehörigen der untersten Stufe des Kastensystems in Indien sind mindestens sieben Menschen ums Leben gekommen. In mehreren Bundesstaaten blockierten die Demonstranten am Montag Strassen und Eisenbahnschienen, zündeten Fahrzeuge an und stiessen mit Sicherheitskräften zusammen, wie die Polizei mitteilte. Vier Menschen seien im zentralindischen Bundesstaat Madhya Pradesh gestorben und drei weitere in anderen Staaten.

Wütende Männer mit Transparenten klettern auf eine Lokomotive.
Legende: Verschiedene Dalit-Organisationen riefen am Montag zu Protesten und einem Streik auf. Imago

Weshalb ist es zu Unruhen gekommen? Auslöser der Proteste war ein Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 20. März, mit dem das Gesetz zum Schutz Angehöriger benachteiligter Kasten und Volksgruppen aufgeweicht wird. Das Gesetz sehe für Gewaltverbrechen, die auf Kasten-Vorurteilen beruhten, spezielle Strafen vor, sagt Britta Petersen, freie Journalistin in Indien. «Verdächtigte können realtiv kurzfristig festgenommen und auch festgehalten werden.» Das Gesetz werde missbraucht, begründeten die Richter ihr Urteil. Deshalb befanden sie, dass Tatverdächtige nicht mehr automatisch festgenommen werden sollen. Ausserdem sollen Staatsbedienstete nur noch mit schriftlicher Zustimmung ihrer Behörden unter diesem Gesetz verhaftet werden. Nach den Protesten erklärte Innenminister Rajnath Singh am Montag in einem Fernsehinterview, die Regierung habe beim Obersten Gerichtshof beantragt, das Urteil zu überprüfen.

Zwei Soldaten, einer hält einen Mann fest, der andere erhebt einen Holzstock gegen ihn.
Legende: Laut den indischen Behörden sind die Verurteilungen wegen von Kasten-Vorurteilen motivierten Gewalttaten gesunken. Imago

Weshalb ist das Urteil so bedeutend? Gegen das Urteil wehren sich nun vor allem die Dalits, die Menschen der untersten indischen Kaste. Früher wurden sie «Unberührbare» genannt. Sie werden auch heute noch wegen ihrer Kastenzugehörigkeit diskriminiert. Nach der Unabhängigkeit hatte die indische Regierung sehr viele Massnahmen ergriffen, um die «Unberührbarkeit» abzuschaffen, wie Petersen sagt. Offiziell dürfe es «Unberührbarkeit» in Indien nicht geben. Um die strukturelle Gewalt gegen diese Minderheit aufzuheben, gebe es unter anderem dieses Gesetz. «Für die Dalits ist das ein sehr emotionales Thema. Sie haben das Gefühl, wenn das Gesetz angerührt wird, könne das nur gegen sie gehen.»

Eine Frau hat ihre blaue Sari über das Gesicht gezogen und hält die Hand an die Stirn.
Legende: Seit Jahrtausenden diskriminiert: Die Dalits machen rund einen Viertel der indischen Bevölkerung aus. Imago

Was heisst es, «unberührbar» zu sein? «Wenn man in Europa lebt, kann man sich kaum vorstellen, wie tiefsitzend, extrem verletzend und erniedrigend die Ungerechtigkeit des indischen Kastensystems ist», sagt Petersen. Seit Tausenden Jahren habe es in Indien immer wieder Protestbewegungen dagegen gegeben. Trotzdem ist es nicht gelungen, das Kastensystem aufzuheben. Früher mussten «Unberührbare» Glöckchen um den Hals tragen, damit die oberen Kasten sie schon von Weitem hören und ihnen ausweichen konnten, um sich nicht an ihrem Schattenwurf zu verunreinigen, wie Petersen erklärt. Auch heute noch dürfen sie im Dorf nicht aus demselben Brunnen trinken wie die oberen Kasten. In modernen Büros und Städten ist es ihnen verboten, dieselben Tassen und Teller zu benutzen. Sie dürfen auch nur Arbeiten erledigen, die von anderen Kasten als schmutzig empfunden werden.

Audio
Kasten-Unruhen in Indien: Journalistin Britta Petersen im Gespräch
aus SRF 4 News aktuell vom 04.04.2018.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 28 Sekunden.

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