Zum zweiten Mal innerhalb von zweieinhalb Jahren ist die London Bridge Schauplatz eines Terroranschlags geworden. Zwei Menschen starben bei der Messerattacke vom vergangenen Freitag, drei weitere wurden verletzt.
Nun ist eine Debatte über vorzeitige Entlassung von Häftlingen entbrannt. «Wir spielen russisches Roulette mit Menschenleben, wenn wir verurteilte Dschihadisten durch unsere Strassen laufen lassen», sagte der frühere Leiter des Nationalen Amts für Terrorismusbekämpfung.
Mitten im Wahlkampf schalteten sich auch die beiden Konkurrenten um das Amt des Premierministers ein. «Das Justizsystem funktioniert schlichtweg nicht», sagte Amtsinhaber Boris Johnson. Er fordert ein Mindeststrafmass von 14 Jahren bei terroristischen Vergehen – ohne Chance auf Bewährung.
In der BBC warf Johnson der früheren Labour-Regierung vor, ihre Gesetzesänderung hätte die vorzeitige Entlassung des Attentäters erst ermöglicht. Für SRF-Korrespondent Martin Alioth sind Johnsons Worte mehr als Wahlkampfgetöse: «Unter ihm sind die Konservativen eher nach rechts gerutscht.»
In Gefängnissen ist der Anreiz auf frühzeitige Entlassung einer der wichtigsten Köder, um Sträflinge bei Anstand zu halten.
Die Tories hätten einen Ruf als Law-and-Order-Partei zu verlieren. In diese Kerbe haue Johnson nun, mit einem «sehr heiklen» Vorstoss: «In Gefängnissen ist der Anreiz auf frühzeitige Entlassung einer der wichtigsten Köder, um Sträflinge bei Anstand zu halten.»
Labour geisselt konservative Sparpolitik
Die oppositionelle Labour wirft den regierenden Konservativen vor, durch Sparmassnahmen bei Polizei und Justiz eine Mit-Verantwortung für den Anschlag zu tragen. Die Sparpolitik sei nicht ohne Folgen geblieben, berichtet Alioth: «Die Gefängnisse in Grossbritannien sind notorisch überfüllt.» Wenn man das Personal in den Anstalten drastisch dezimiere, sei klar, dass auch Rehabilitations- und Betreuungsprogramme für Islamisten litten.
Der wichtigste Punkt in der Kritik von Labour betreffe die Betreuung und Überwachung von Häftlingen, die frühzeitig auf Bewährung entlassen würden. «Im Fall des Attentäters vom Freitag hat der für die Überwachung zuständige Dienst offensichtlich versagt.»
«Eher gereizte» Reaktion der Öffentlichkeit
Für Alioth erleben die Briten dieser Tage ein Déjà-vu. «Das Muster von Urnengang und Terror ist ihnen bestens vertraut.» Unmittelbar vor der letzten Wahl 2017 sandte die «London Bridge Attack» Schockwellen durchs Königreich. Im Vorfeld des Brexit-Referendums wurde die Labour-Abgeordnete Jo Cox von einem Rechtsextremen auf offener Strasse ermordet.
Die Öffentlichkeit reagiere denn auch «eher gereizt» auf den politischen Schlagabtausch im Nachgang der aktuellen Terrorattacke, so Alioth. Die Neigung von Politikern, solche Ereignisse zu instrumentalisieren, möge hoch sein: «Ich bezweifle aber, dass das in der Bevölkerung gut ankommt.»
Der Terror in der Hauptstadt könnte Labour auf zynische Weise zum Vorteil gereichen, glaubt Alioth: «Nämlich, wenn die Sparpolitik der Konservativen in den letzten neun Jahren angeprangert wird und die Folgen aufgezeigt werden.»
Allerdings wecke Labour-Chef Corbyn aufgrund seiner Vergangenheit auch «unbestreitbare Assoziationen» mit Terrororganisationen wie IRA oder Hamas. «Das alles hält sich meines Erachtens die Waage. Zumal die Meinungen bei den Wählern allmählich verfestigt sind.»
Das Fazit des Korrespondenten: Die aktuelle Debatte werde kaum entscheidenden Einfluss auf den Urnengang haben.