Nachbarland der Ukraine - Nato-Truppen in der Slowakei wecken schmerzhafte Erinnerungen
Jets der Nato-Länder überwachen den slowakischen Luftraum. Noch vor kurzem war das unvorstellbar. In kaum einem anderen osteuropäischen Mitgliedsstaat ist die Skepsis gegenüber der Nato so gross.
Eine Szene wie aus einem Kriegsfilm. Aus dem Morgennebel ragen Raketenwerfer in die kalte Herbstluft. Vier Abschussrampen stehen auf dem Flugplatz von Sliac, jede montiert auf einen Lastwagen. Alle Rohre zeigen Richtung Osten, Richtung ukrainische Grenze.
«Unser Auftrag ist, sicherzustellen, dass dieser slowakische Flughafen und das Umland geschützt sind», sagt Oberleutnant Marvin. Er würde einen der Patriot-Raketenwerfer abfeuern, sollten russische Raketen oder Flugzeuge die Slowakei angreifen.
Noch geht es hier nicht um Verteidigung, sondern um Abschreckung: «Die Nato gibt uns vor: In dieser Mission geht es darum, Präsenz zu zeigen. Und nicht darum, eine direkte Bedrohung zu bekämpfen.» Die Patriot-Raketen in Sliac sind dabei ein Glied in der langen Luftabwehrkette, welche die Nato von Norwegen bis Bulgarien gespannt hat.
Im Hauptgebäude des Flugplatzes sitzt Oberst Kraus, der Kommandant der deutschen Nato-Truppen in Sliac. Er ist stolz darauf, wie schnell seine Einheit schon letzten März die Patriot-Raketen hier in Stellung gebracht hat.
Die logistische Leistung der Nato bedeutet eine grosse Veränderung für die knapp 5000 Einwohnerinnen und Einwohner des Kleinstädtchens. Vor allem zu Beginn, als die Patriot-Raketen ankamen, hätten sie Angst gehabt, selbst Ziel zu werden, sagt Gemeindepräsidentin Lubica Balgová. Inzwischen habe man sich wohl oder übel daran gewöhnt.
Wie viele hier ist auch die Gemeindepräsidentin skeptisch gegenüber den ausländischen Truppen. Für Sliac bedeuteten die ausländischen Truppen vor allem mehr Lärm, mehr Verkehr und schmerzhafte Erinnerungen.
Die Nato-Truppen erinnerten die Leute an die Besatzung durch die Sowjets. Einzelne dächten sogar noch an die Gräuel des Zweiten Weltkriegs, wenn sie Fahrzeuge mit der Aufschrift «Bundeswehr» vorbeifahren sehen.
In der ganzen Slowakei sind heute 1500 ausländische Nato-Soldatinnen und -Soldaten stationiert. Politisch sei das ein Riesenschritt, sagt Vize-Verteidigungsminister Marian Majer in Bratislava. Vor dem Krieg in der Ukraine wäre das kaum vorstellbar gewesen. Zu gross war die Ablehnung gegen ausländische Soldaten auf slowakischem Boden.
Noch Anfang dieses Jahres drohte ein neues Militärabkommen mit den USA am politischen Widerstand zu scheitern. Fast die Hälfte des Parlaments wollte keine zusätzlichen amerikanischen Soldaten in der Slowakei. Und in Umfragen befürwortete noch unmittelbar vor dem Ukraine-Krieg weniger als die Hälfte der Bevölkerung die Nato-Mitgliedschaft der Slowakei.
Heute ist es eine Mehrheit. Und doch ist die Kritik an den ausländischen Truppen in der Slowakei nach wie vor lauter als in anderen osteuropäischen Nato-Staaten. Wichtige Oppositionspolitiker behaupten, die Nato sei mitverantwortlich für den russischen Überfall auf die Ukraine.
Er sei nicht glücklich darüber, dass politische Parteien mit ihrer Kritik an der Nato die Grundpfeiler der slowakischen Sicherheitspolitik infrage stellten, sagt der Vize-Verteidigungsminister dazu.
Auf dem Flugplatz von Sliac macht sich ein Kampfjet bereit zum Start. «Wir selber haben hier in Sliac bisher wenig Ablehnung erfahren. Ganz im Gegenteil. Wir fühlen uns wohl hier», sagt Oberst Kraus und schaut zu, wie die slowakische MiG-29 in den Himmel steigt.
Wieso gibt die Slowakei ausgerechnet jetzt ihre Kampfjets auf?
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Die MiG-29-Flugzeuge geben in der Slowakei viel zu reden. Die slowakische Armee mustert die Kampfjets aus Sowjetzeiten nämlich gerade aus. Ersatz gibt es noch nicht. Die Überwachung ihres Luftraums mit Flugzeugen hat die Slowakei vorläufig delegiert. Osteuropakorrespondent Roman Fillinger zu den Hintergründen.
SRF News: Wieso gibt die Slowakei ausgerechnet in diesen heiklen Zeiten ihre Kampfjets auf?
Roman Fillinger: Aus praktischen und politischen Gründen. Für die zwölf MiG-29 der slowakischen Armee hatte man einen Servicevertrag mit den Russen. Diesen Vertrag, sagte mir der Vize-Verteidigungsminister, habe man nach dem russischen Überfall der Armee unmöglich weiterführen können. Gleichzeitig verzögert sich die Lieferung von amerikanischen F-16-Kampfjets. Zudem sind die Flugzeuge für die Ukraine attraktiv. Die Ukrainer kennen die Jets und könnten sie sofort einsetzen. Noch ist aber unklar, ob und zu welchen Bedingungen die slowakischen Flugzeuge an die Ukraine geliefert werden.
Polnische und tschechische Kampfjets überwachen den slowakischen Luftraum. Wie umstritten ist das in der Slowakei?
Das ist nicht so umstritten. Es ist eine temporäre Massnahme ist, bis die US-Jets ankommen. Und wohl auch, weil es andere osteuropäische Länder gibt, die ihre Luftpolizei dauerhaft ausgelagert haben. Über Slowenien patrouillieren ungarische Jets, über den baltischen Staaten Jets aus verschiedenen Nato-Ländern.
Überlegt sich die Slowakei, das Geld für die Luftwaffe zu sparen – und sie stattdessen längerfristig an andere Länder auszulagern?
Nein. Im Verteidigungsministerium sagte man mir zwar, das würde wohl billiger kommen. Aber einerseits wolle man nicht so viel nationale Souveränität aufgeben, andererseits wäre das nicht solidarisch. Gerade als Nato-Land müsse auch die kleine Slowakei einen Beitrag leisten. Vize-Verteidigungsminister Majer sagte, es könne ja nicht sein, dass am Schluss nur noch grosse Länder wie Frankreich oder Deutschlands Nato-Kampfjets betreiben.
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