Der Ingenieur Adam Priest ist knapp 50 Jahre alt, er schaut mit uns auf Sullom Voe hinaus: das grösste Öl-Terminal Europas. Als 1969 zwischen Norwegen und Schottland die ersten Ölvorkommen entdeckt wurden, entstanden in Sullom Voe tausende Jobs, um das Öl-Terminal aufzubauen und zu betreiben.
Adam erzählt: «7000 Personen arbeiteten hier in den besten Zeiten. Nicht nur Inselbewohner und Inselbewohnerinnen machten hier Karriere, unzählige Menschen zogen hierher und blieben.»
Die Insel profitierte von jedem Barrel Öl
Die Ölindustrie verstand es, die Shetländerinnen für sich zu gewinnen. Für jedes Barrel Öl, das Sollum Voe passiert, erhielt die Munizipalgemeinde eine finanzielle Beteiligung. Mehrere hundert Millionen Pfund flossen so über die Jahrzehnte in Wohlfahrtsprojekte oder Infrastruktur.
Dadurch können die Inseln mit ihren nicht mal 23‘000 Einwohnern acht Freizeitzentren mit Hallenbädern bieten. Die Vogelpopulation gehört zudem zu den besterforschten Europas – auch das hat die Ölindustrie mitfinanziert.
Doch Adam Priest ist überzeugt, die goldenen Zeiten sind vorbei. Deshalb hat er letztes Jahr gekündigt und sich als Ingenieur selbständig gemacht: «Wir sind in einer Phase der Veränderung. Potenzial bieten Themen wie Wasserstoff und Ethanol beim Fahrzeugantrieb oder Wind- und Gezeitenkraftwerke bei der Stromproduktion.» Als Ingenieur wolle er diese Neuerungen vorantreiben, besonders in Shetland.
Neue Jobs dank Windenergie
Das sieht auch die Ingenieurin Claire Ferguson so: «Unser Leben hier auf den Inseln wurde schon immer von Wind und Wasser bestimmt, deshalb ist es nur natürlich, dass wir daraus jetzt auch Energie gewinnen wollen.»
Die Zeit wird knapp, deshalb müssen wir jetzt die radikalen Entscheidungen treffen.
Die Ingenieurin ist seit einigen Monaten verantwortlich für die «Net Zero-Strategie». Sie entwickelt also die Klimastrategie der Shetlandinseln. Ein Job, der ihr nach 16 Jahren in Edinburgh die Möglichkeit bot, zurück auf die Inseln zu ziehen.
Claire ist überzeugt, Shetland muss sich so rasch wie möglich von der Ölindustrie verabschieden und auf erneuerbare Energien setzen: «Die Zeit wird knapp, deshalb müssen wir jetzt die radikalen Entscheidungen treffen.»
Öl ist noch immer beliebt
Doch das sehen längst nicht alle so. Ausgerechnet Boris Johnson, der sich gerne als grüner Premierminister präsentiert, plant ein neues Ölfeld westlich der Shetlandinseln anzuzapfen. «Cambo» heisst das Projekt. Das sorgt für Demonstrationen und Kritik in London, weniger aber auf den Shetlandinseln selber.
Das junge Paar Rebecca und Kaylen absolviert zurzeit eine Mechaniker-Ausbildung in der Ölindustrie. Sie sind für das neue Ölfeld. Kaylen erklärt: «Ich bin nicht gegen erneuerbare Energien, aber wir alle sind weiterhin auf Öl und Gas angewiesen. Ich sage, es braucht beides.»
Seine Freundin Rebecca fügt an: «Für die erfolgreiche Ölförderung prophezeite man einst nur 30 Jahre und jetzt sind es schon 60 Jahre. Darum weiss ich, es wird auch für unsere Karriere noch reichen.» Sie sind überzeugt, ein sanfter Übergang von den alten hin zu den neuen Energiequellen reicht aus, um die Klimaerwärmung zu bremsen.
Dieselbe Meinung vertritt auch der Gemeinderatspräsident vom Hauptort Lerwick, Steven Coutts: «Wir verstehen sehr wohl, dass dringende Entscheidungen anstehen, aber wir wollen nicht entweder oder – wir wollen einen pragmatischen Mittelweg.»
Die Ölindustrie lobbyierte besser
Wer lange genug zuhört, der erfährt auch, dass viele Bewohnerinnen ausgerechnet der Windenergie kritisch gegenüber stehen. Konkret geht es um das ambitionierte Projekt «Viking Wind». Mit 103 Turbinen soll es der grösste Windpark Grossbritanniens werden. Doch der Konzern dahinter, «SSE Renewables», bemüht sich längst nicht so sehr um die Bevölkerung wie dies einst die Ölkonzerne taten. Es fliesst auch viel weniger Geld in die Kasse der Lokalbehörde.
«Die Kommunikation gegenüber der Bevölkerung ist schlecht und wenig durchdacht», erklärt etwa der ehemalige Journalist Jonathan Wills. «Die Unterstützung der Bevölkerung wird als selbstverständlich angesehen.» Es ist vor allem die Grösse, die 128 km2 Fläche, welche viele abschreckt.
Auch die Pony-Züchterin Elaine Tait findet, der Eingriff in die Landschaft ist zu gross: «Ich bin nicht gegen erneuerbare Energien, aber warum muss der grösste Windpark Grossbritanniens ausgerechnet auf einer der kleinsten Inseln des Landes gebaut werden?» Das mache aus ihrer Sicht keinen Sinn.
Strom aus dem Meer
Viel mehr Goodwill haben Projekte, welche aus den Wasserbewegungen der Gezeiten Energie anzapfen wollen. Die Technik steckt noch ganz am Anfang, doch sie hat Potenzial. Das Unternehmen «Nova Innovation» hat mit Strom aus Unterwasserturbinen erfolgreich die weltweit erste E-Tankstelle auf den Inseln eröffnet. Damit war Shetland rund um den Globus in den Schlagzeilen und konnte sein Knowhow in Energiefragen präsentieren.
Adam Priest sieht genau da die Chancen der Shetlandinseln: «Ich und viele andere hier haben unglaublich viel Erfahrung und Wissen aus der Ölindustrie. Das müssen wir jetzt transferieren und in anderen Energiebranchen anwenden.»
Shetlands Chance
Einst waren es die Öl-Ressourcen, die in Shetland die Expertise vorantrieben, die für Arbeitsstellen, Karrieren und Wohlstand sorgten. Die natürlichen Ressourcen, wie Wind und Wasser, bieten der Inselgruppe erneut die einmalige Chance, Vorreiterin in der Energiethematik zu sein.
Doch die wichtigste Frage bleibt, hier wie anderswo: Haben die Menschen den Mut und Willen, die nötigen radikalen Schritte zu vollziehen, um die Klimaerwärmung einzudämmen?